CESI Fachtagung: Verwaltung der Zukunft

Estland ist mit etwa 1,3 Millionen Einwohnern der kleinste der drei baltischen Staaten. Begünstigt durch seine Größe und angetrieben durch einen starken Innovationswillen in der noch jungen Gesellschaft des 1990 wiedergegründeten Staates entwickelt sich Estland zum digitalen Vorreiter. Transparenz und Partizipation werden zu neuen Leitbildern der öffentlichen Verwaltung erklärt. Es gibt kaum einen Bereich des öffentlichen und privaten Lebens in Estland, in den die digitale Revolution noch nicht Einzug gehalten hätte. In diesem Umfeld diskutierten am 26. und 27. Juni über hundert europäische Gewerkschaftsvertreter auf Einladung der Akademie der CESI über die Chancen und Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung im Zeitalter des Web 2.0.

In ihrer Begrüßungsansprache erläuterte die estnische Ministerin für Wirtschaft und Infrastruktur Urve Palo die Chancen des digitalen Fortschritts für die Bürger. So könne jeder Este innerhalb von nur zwanzig Minuten ein Unternehmen gründen, ohne dafür auch nur einmal seine Wohnung verlassen zu müssen. Möglich mache dies der elektronische Ausweis. Jeder Bürger habe darüber Zugang zu Online-Behördendiensten, eine schnelle und unkomplizierte Authentifizierung der persönlichen Daten sei über den Ausweis sofort gewährleistet. Die Ministerin zeigte sich überzeugt, dass Estland schon in wenigen Jahren Weltmarktführer für digitale Behördendienstleistungen sein könne. Bereits Ende 2014 solle jeder EU-Bürger in Estland dieselben digitalen Dienstleistungen nutzen können wie auch estnische Staatsbürger.

CESI-Generalsekretär Klaus Heeger verwies in der Diskussion auf den Vorbildcharakter der estnischen Verwaltung. „Aus Sicht der Bürger hat Estland Großes geschaffen. Der Service der öffentlichen Verwaltung ist schnell, beinahe jederzeit und von überall auf der Welt verfügbar. Öffentliche Dienste sollen für die Menschen da sein, das demonstriert Estland auf beeindruckende Art und Weise.“ Dennoch dürfe nicht vergessen werden, dass nicht nur der Bürger, sondern vor allem auch die Verwaltungsmitarbeiter bei diesem Prozess eingebunden werden müssen. „Die digitalen Veränderungen der letzten Jahre waren atemberaubend. Es bieten sich beinahe unendliche Möglichkeiten, auch für die öffentliche Verwaltung. Allerdings können diese nur verwirklicht werden, wenn auch die Bedürfnisse der öffentlich Bediensteten vorangestellt würden.“

Weder jetzt noch in der Zukunft gehe es ohne die öffentlich Bediensteten, so der CESI-Generalsekretär. „Keine Technik der Welt kann Einfühlungsvermögen, direkte Ansprache und unkomplizierte Hilfe ersetzen“, sagte Heeger. „Technik kann den Menschen nur ergänzen, macht ihn aber nicht überflüssig. In der Privatwirtschaft sind teilweise verheerende Entwicklungen im Servicebereich zu beobachten. Das funktioniert dort schon nicht und darf keinesfalls auf die öffentlichen Dienste übergreifen.“ Allerdings bedeute das im Umkehrschluss nicht, dass die neuen Technologien keinen großen Nutzen bringen können. „Es darf keinen Stillstand geben, schon gar nicht in der öffentlichen Verwaltung. Aber Fortschritt braucht Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein der Arbeitgeber.“

Ganz ohne Regeln könne die digitale Revolution in der öffentlichen Verwaltung deshalb nicht ablaufen. „Regeln beschränken nicht zwangsläufig jede Kreativität für mögliche Lösungsansätze. Vielmehr können klare Regeln auch den nötigen Raum für Entfaltung schaffen“, erläuterte Heeger. „Die Aufgabe des öffentlichen Diensts – zuverlässige Arbeit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger anzubieten – hat sich nicht geändert doch die Wege sind vielfältiger geworden. Das ist ein großer Gewinn, den es nun zu nutzen gilt.“

Unterstützt wurden Heegers Forderungen durch Ute Wiegandt-Fleischhacker. Die Landesbundvorsitzende des dbb Hessen erläuterte, worauf es aus Sicht der Arbeitnehmer bei der Digitalisierung der Verwaltung ankomme. „Jeder Wandel muss so früh wie möglich kommuniziert werden. Es kann nicht darum gehen, technische Neuerungen überhastet und ohne Rücksicht auf Verluste in den Verwaltungsalltag einzuführen. Die Beschäftigten müssen jederzeit in den Prozess mit einbezogen werden, ihre Anliegen müssen ernst genommen werden.“ Ein besonders wichtiger Aspekt sei dabei die Datensicherheit. „Wie jede Privatperson sollten auch die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst jederzeit wissen, was mit ihren Daten passiert und wie diese verarbeitet werden.“ Dies sei auch eine Frage des nötigen Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn.

Die öffentliche Verwaltung sehe sich mit einer steigenden Erwartungshaltung durch die Bürger konfrontiert, so Wiegandt-Fleischhacker. „In der öffentlichen Verwaltung wird häufig der gleiche Service erwartet, den auch private Unternehmen zur Verfügung stellen.“ Auch wenn dies nicht immer möglich und sinnvoll sei, sei es dennoch ein nötiger Ansporn, auch neue Wege zu beschreiten. „Technischer Fortschritt kann den Service für die Bürger verbessern und gleichzeitig auch Verwaltungsabläufe vereinfachen und völlig neue Möglichkeiten eröffnen.“ Von dieser Öffnung könnten auch die Bediensteten umfassend profitieren.

Die Verantwortung, die neuen Systeme in den Arbeitsalltag umzusetzen, dürfe dabei aber nicht allein bei den Arbeitnehmern liegen. „Jeder Systemneustart erfordert qualitative und ausführliche Fortbildungen für die Beschäftigten. Das kostet natürlich auch Geld. Aber wer diese Investitionen scheut, kann nicht im Gegenzug eine moderne und zeitgemäße Verwaltungsarbeit erwarten.“ Ein großes Problem sei zudem der Verwaltungsabbau im öffentlichen Dienst. „Wenn immer weniger Menschen immer mehr Arbeit und neue Aufgaben übernehmen sollen, leidet sehr schnell die Qualität und die Gesundheit der Beschäftigten.“

Der stellvertretende dbb Bundesvorsitzende Volker Stich wies auf die Sorgfaltspflicht öffentlicher Stellen hin. „Es ist wichtig, dass auch die Verwaltung und politische Entscheidungsträger die Vorteile der modernen Technologien nutzen, um zum Beispiel in den Dialog mit Bürgern und Interessengruppen zu treten. Es ist gut, wenn jeder seine Wünsche und Anregungen direkt an die Verwaltung herantragen kann.“ Allerdings habe dies in der Vergangenheit auch dazu geführt, dass Einzelmeinungen zu stark bei der Entscheidungsfindung gewichtet wurden und andere, relevante Akteure, die wenig über digitale Medien kommunizieren, ausgeschlossen wurden. „Wir befinden uns nach wie vor in einer Experimentierphase. Vieles ist durchaus begrüßenswert, aber nicht jede bewährte Methode muss deshalb gleich schlecht sein.“

 

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