dbb Jahrestagung 2023

Energiesicherheit versus Klimakrise – Welchen Beitrag kann der öffentliche Dienst leisten?

Neben klimaneutralem Verwaltungshandeln muss auch das staatliche Krisenmanagement neu aufgestellt werden. So lautet das Fazit einer Debatte auf der dbb Jahrestagung.

Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), umriss in seinem Impuls, welche entscheidende Rolle dem öffentlichen Sektor bei der Transformation zur Klimaneutralität – die Deutschland bis zum Jahr 2045 erreichen will – zukommt. Zwar finde die Transformation zur Nachhaltigkeit primär in der Wirtschaft statt, aber „der öffentliche Dienst ist aufgefordert, die entsprechenden Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen – Regeln anpassen, Förderprogramme auflegen, die Kommunikation in die Gesellschaft sicherstellen“, erläuterte Messner. Zudem müsse die Form der Arbeit beschleunigt werden – „auf dem Weg zur Klimaneutralität brauchen wir Faktor-3-Geschwindigkeit, auch im öffentlichen Dienst“, machte der UBA-Chef unmissverständlich klar. Der öffentliche Sektor müsse seine Rolle als Motor und Gestaltungskraft der ökologischen Transformation unmittelbar wahrnehmen. Ebenso sei der Staatsdienst aufgefordert, seine eigenen Institutionen, Infrastrukturen, Flotten und Mobilitätslösungen klimaneutral zu gestalten – „und zwar nicht selektiv, sondern flächendeckend.“ Messner weiter: „Es braucht systematische Konzepte und Strategien für Null-Emissionen öffentlicher Gebäude, Mobilität und Prozesse. Das Umweltbundesamt hat hierzu Methoden und Leitfäden entwickelt, die jetzt zur Anwendung kommen müssen.“

Auch als volkswirtschaftlicher Akteur habe der öffentliche Sektor eine wesentliche Gestaltungsmacht bei der Klimawende, betonte der international renommierte Nachhaltigkeitsforscher. „Wer regelmäßig 20 Prozent der wirtschaftlichen Gesamtnachfrage generiert, kann und muss im Rahmen seiner Ausschreibungen und Beschaffungsprozesse Anreize setzen, die Nachhaltigkeit und Klimaschutz fördern und somit sicherstellen.“ Verantwortung trage der öffentliche Dienst schließlich auch für die Etablierung von Akzeptanz und gesellschaftlichem Konsens für die Energiewende. „Dabei kommt der Glaubwürdigkeit des Staats eine ganz entscheidende Rolle zu“, betonte der UBA-Präsident. „Der öffentliche Sektor muss auf dem Weg zur Klimaneutralität vorangehen und zeigen, wie Nachhaltigkeit erreicht werden kann, welche Infrastrukturen, Mobilitätslösungen und Konsumgewohnheiten mit Klimaneutralität kompatibel sind und welche nicht“, so Messner. Er forderte „ein Krisengefühl“ in Sachen Klima, um den dringend erforderlichen Handlungsdruck bei den Menschen zu erzeugen. Dies sei nicht als Angst erzeugende Panikmache aufzufassen, sondern als Notwendigkeit, um die alternativlosen Klimaziele zu erreichen, zumal die öffentliche Aufmerksamkeit seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nachvollziehbarerweise auf akute Themen wie Energieversorgung und Inflation liege. „Der Klimawandel macht aber keine Pause und ist eine enorme existenzielle Herausforderung“, betonte Messner, aber man stehe dieser nicht macht- und hilflos gegenüber. „Wir müssen den Menschen jetzt aufzeigen, dass wir gute Lösungen haben, um sie ins Handeln zu bringen. Wir reden seit 30 Jahren über Nachhaltigkeit – jetzt ist es allerhöchste Zeit, Klimaneutralität zu schaffen“, unterstrich Messner. Sein Wunsch an den öffentlichen Dienst: „Jede Behörde, jede Organisation des öffentlichen Sektors braucht ein Zero-Carbon-Konzept – und 2023 muss ein Jahr der Tat in Sachen Klimaschutz werden.“

Müller: Liebe und Candystorm für Regularien

Glaubwürdigkeit in Sachen Klimaschutz beginnt für Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, in der eigenen Behörde: „Wir haben die 19-Grad-Marke beim Heizen unseres gemieteten Dienstgebäudes gehalten. Ansonsten gibt es zum Beispiel Fahrradstationen für E-Bikes, Solarpanels auf dem Dach, Dienstreisen mit der Bahn und vieles mehr, was der Umwelt guttut.“ Bezüglich der Energiesicherheit in der Krise betrachtet Müller die Lage derzeit als „gut“. Neue LNG-Terminals seien in Rekordgeschwindigkeit realisiert worden. „Das ist zwar keine ökologische Glanztat, aber für die Energiesicherheit notwendig. Damit haben wir gute Voraussetzungen geschaffen, dass Engpässe auch im nächsten Winter vermieden werden können.“ Darüber hinaus habe die Behörde noch nie „so viel Liebe und Candystorm“ für ihr planerisches und regulatorisches Handeln erfahren wie in der Energiekrise.

Ist der ökologische Wandel überhaupt noch möglich? „Nicht möglich, sondern alternativlos“, sagte Müller. Investitionen in erneuerbare Energien seien heute echte Zukunftsinvestitionen. „Wir können und müssen uns aus der Krise herausinvestieren. Damit muss aber auch die Gesetzgebung Schritt halten, damit entsprechende Genehmigungsverfahren schnell ablaufen.“ Weiter werde derzeit mehr über Protestformen gesprochen als über die Aufgaben von Klimaschutz. „Manche finden es einfacher, sich über unkonventionelle Protestaktionen aufzuregen, statt zu überlegen, wo im eigenen Umfeld für mehr Klimaschutz angesetzt werden könnte.“ Energiesparen und Innovationen wie Wasserstoff nutzten darüber hinaus nicht nur der Klimabilanz, sondern stets auch der Gesellschaft und der Wirtschaft vor Ort. Der öffentliche Dienst könne beim Klimaschutz vor allem punkten, wenn Gasspeicher gefüllt, Netze ausgebaut und neue Infrastrukturen geschaffen werden.

Scheer: Öffentlicher Dienst muss bei Energiewende Vorbild sein

Die nötige Beschleunigung bei der Energiewende „ist ein etwas dickeres Brett“, befand Nina Scheer, Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Die Koordination der großen Zahl an Beteiligten sei häufig schwierig. Der Abbau von Hindernissen bei Genehmigungsverfahren müsse vorangetrieben werden. Eine gesonderte Herausforderung sei auch hier der Fachkräftemangel.

Für die rasche Umsetzung der Energiewende sei es bedeutsam, „mit Mut und Tatkraft auch mal allein voranzugehen, um schnelle Lösungen voranzubringen.“ Bei den Ausschreibungen müsste berücksichtigt werden, dass Mechanismen, die marktwirtschaftlich organisieren, „uns nicht ein Bein stellen“, so Scheer. Der öffentliche Dienst müsse bei der Energiewende selbst Vorbild sein, wo immer es möglich sei. Es werde für die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren beispielsweise auch mehr Leitfäden geben müssen, um das Rad nicht immer wieder neu erfinden zu müssen. Notwendig sei auch ein gigantischer Stellenaufwuchs auf allen Ebenen, insbesondere aber auf kommunaler Ebene. Bei allen Genehmigungsverfahren müssten die erneuerbaren Energien im Mittelpunkt stehen. Ihnen gebühre der Vorrang. Alles müsse auf Ermöglichung getrimmt werden.

Scheer sendet zudem ein Signal an die zu einem großen Teil sehr jungen Klimaprotestierenden: „Man darf sich nicht in Sackgassen begeben!“ Die Form der Klimaproteste der letzten Monate bewirke, dass die Forderungen als politische Meinung nicht verwertbar seien. Die Demokratie sei darauf angewiesen, dass der Gestaltungswille der Akteure sich seinen Weg auch bahnen könne. „Sucht bitte den Weg in die Parteien und zu den zivilgesellschaftlichen Akteuren!“ Nur so könne die Energiewende beschleunigt gelingen.

Tiesler: Bevölkerungsschutz ist Teil der staatlichen Sicherheitsarchitektur

Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, machte deutlich, dass es nicht nur wichtig sei, den öffentlichen Dienst und seine Institutionen klimaneutral aufzustellen. „Der Klimawandel fordert uns mit anderen Ereignissen heraus, wenn wir an die Zunehmenden Wetterkapriolen denken, die uns bereits ereilt haben, etwa an der Ahr oder die Dürreperioden, die zunehmen. Als Gesellschaft müssen wir uns besser vorbereiten, denn den Ereignissen können wir nicht mehr ausweichen.“

Zudem appellierte er an die Verantwortung des Staates, die Bevölkerung vor den unabwendbaren Folgen des Klimawandels und daraus resultierender Krisen besser zu schützen: „Das Thema Bevölkerungsschutz ist ein Teil der stattlichen Sicherheitsarchitektur, der Daseinsvorsorge. Der Staat muss sein Leistungsversprechen erfüllen.“ Letztlich setze das auch ein Krisenbewusstsein voraus, um im Ernstfall handlungsfähig zu sein. „Wir kommen nur raus aus dem Krisenmodus, wenn wir uns an Krisen anpassen und Strategien entwickeln, um Krisen zu bewältigen“, sagte Tiesler. Resilienz erreiche man aber nur, wenn alle Akteure – Staat, Organisationen, Unternehmen und die öffentliche Hand – im Dialog zusammenarbeiten. Das bedeute für die Behörden, viel mehr in die Vorbereitung zu investieren. Dafür sei ausreichend Personal notwendig. Aber auch die Gesellschaft sei gefragt. Die Bürgerinnen und Bürger müssten lernen, wie sie sich in Krisensituationen selbst helfen und zur Lösung beitragen könnten. „Dafür müssen wir den Menschen die richtigen Botschaften vermitteln und ihnen das Handwerkszeug vermitteln. Das Ehrenamt sehe ich hier als ganz wichtigen Faktor.“

 

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