57. Jahrestagung des dbb in Köln:

forsa-Chef Manfred Güllner: „Diktatur der Minoritäten“ sorgt für Entfremdung zwischen Politik und Bürgern

Vor einer zunehmenden Entfremdung zwischen Politik und Bürgern hat forsa-Chef Manfred Güllner gewarnt. Die „Partei der Nichtwähler“ sei weitaus größer als die allenthalben thematisierte Abwanderung insbesondere von den Unionsparteien in Richtung der Rechten, sagte Güllner in seinem Vortrag bei der dbb Jahrestagung in Köln am 11. Januar 2016.

Man könne anhand der vorliegenden Daten nicht davon ausgehen, dass die „neue Rechte“ eine größerer Anziehungskraft als je zuvor auf die Wählerinnen und Wähler ausübe, führte Güllner aus. Hätten die Rechten etwa Ende der 1960er oder der 1980er Jahre zwischen sechs und 5,4 Prozent der Wählerstimmen erhalten, erreichten AfD, NPD und Republikaner bei der letzten Bundestagswahl insgesamt „nur“ 3,9 Prozent, bei der vergangenen Europawahl „nur“ 3,7 Prozent. Sehe man sich die Wählerbewegungen genauer an, könne kein Vakuum am rechten Rand der Unionsparteien belegt werden: „Von den Unions-Abwanderern würden einige wenige andere Parteien, mehrheitlich im Übrigen die SPD wählen, die ganz deutliche Überzahl jedoch gibt an, ihr Wahlrecht gar nicht mehr wahrnehmen zu wollen“, so der Forsa-Geschäftsführer. Eine Million weniger Stimmen für die Unionsparteien standen bei den vergangenen Landtagswahlen in Summe 48.000 mehr Stimmen für die AfD gegenüber – „der rechnerische Rest ist aller Wahrscheinlichkeit gar nicht wählen gegangen“, so Güllners Schlussfolgerung. „Das Potenzial der AfD ist weitgehend ausgeschöpft.“

Video des gesamten Fachvortrags

Problematisch sieht der forsa-Chef vor diesem Hintergrund kein etwaiges „Vakuum rechts der Union“, sondern vielmehr die „deutlich nachlassende Bindekraft der Volksparteien“, die ihren Ausdruck in erheblich schwächeren Wahlergebnissen und Vertrauenswerten für CDU und SPD, entsprechend auch für die große Koalition fänden. Auch die schlechte Wahlbeteiligung auf regionaler und kommunaler Ebene, wie etwa Bürgermeisterdirektwahlen, seien Ausweis für einen nachlassenden Glauben der Wähler in die Sinnhaftigkeit des Wahlrechts. „Die Konzentration auf die reinen Wahlergebnisse verstellt die Sicht auf die Tatsache, dass immer mehr Menschen nicht zur Wahl gehen. Das aber ist mittlerweile ein handfestes Legitimationsproblem: Wenn jemand sagt, ich bin euer Oberbürgermeister, dann stimmt das bei einer Wahlbeteiligung von 20 Prozent faktisch nicht mehr“, machte Güllner deutlich. Bedenklich sei zudem, dass die Wahlbeteiligung insbesondere in sozial schwachen Räumen noch schlechter sei als andernorts.

„Experimente mit dem Wahlrecht“ lehnte der forsa-Chef mit Blick auf wenig erfolgreiche Reformen in Bremen, Hamburg und Hessen zur Verbesserung der Wahlbeteiligung ab. Vielmehr, so Güllners Plädoyer, müssten die Ursachen der Frustration bei der großen Zahl von Nichtwählern erkannt und behoben werden. „Das ist keine Apathie aus Zufriedenheit. Die Menschen empfinden, dass die großen Parteien kein Ohr mehr für sie haben bei all dem lauten Streit untereinander.“ Zudem orientiere sich Politik aus ihrer Wahrnehmung zu sehr an den auch von den Medien häufig und pointiert transportierten Meinungen von Minoritäten – „diese Diktatur der Minoritäten“ sei es, die die Menschen in die Aufkündigung ihrer Beteiligung am politischen Prozess treibe. „Die Menschen fühlen sich unverstanden.“ Lohnend sei ein Blick nach Skandinavien, wo die Wahlbeteiligung konstant bei über 80 Prozent liege, empfahl Güllner: „Grund dafür ist wahrscheinlich die stärkere Konsensorientierung des politischen Systems und auch der Medien dort. Auch die deutschen Wählerinnen und Wähler sind für Kontroverse und kritische Diskussion – aber sie wollen am Ende einen Konsens sehen.“ Die politische Diskussion und Berichterstattung hierzulande werde zudem zu sehr von „Häme“ dominiert, so Güllner. „Aber die meisten Menschen können diesen Ton nicht mehr ertragen. Sie schalten ab.“

 

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