11. Forum Personalvertretungsrecht

Personalrat 4.0 - arbeiten und gestalten in Zeiten der Digitalisierung

Der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt unterstrich zum Auftakt des 11. Forums Personalvertretungsrecht am 3. April 2017 in Berlin erneut die Notwendigkeit einer Modernisierung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG). Vor mehr als 250 Teilnehmern begrüßte er zugleich die Ankündigung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, eine Novellierung des Gesetzes anzupacken, als einen „elementaren Fortschritt“.

Der dbb habe seit Jahren darauf hingearbeitet, sagte Dauderstädt. Zwar werde das Vorhaben in dieser Legislaturperiode nichts mehr werden, es lasse sich aber vielleicht in der nächsten Koalitionsvereinbarung verankern. Die zweitägige Veranstaltung für Akteure des Personalvertretungsrechts war vor 20 Jahren vom dbb aus der Taufe gehoben worden. In diesem Jahr stand das Forum unter dem Motto „Personalrat 4.0 – arbeiten und gestalten in Zeiten der Digitalisierung“. Mehr als 250 Teilnehmer waren dazu ins dbb forum berlin gekommen: Personalratsmitglieder und Vertreter der Dienststellen ebenso wie Wissenschaftler, Experten der Rechtsprechung und erfahrene Praktiker.

Auf dem Forum gehe es insbesondere um die Funktionsfähigkeit der Mitbestimmung, machte dbb Chef Dauderstädt zu Beginn deutlich. „Sind die Personalräte hinreichend gerüstet für die Phasen hoher technologischer Veränderungen aller Prozesse am Arbeitsplatz? Werden sie eingebunden und können sie ihre Beteiligung einfordern? Unterlappen nicht ihre dienststellen-bezogenen Zuständigkeiten mit zentralen überlappenden Entscheidungen der Verwaltung?“ Digitalisierung sei ja als solche nicht bedrohlich oder gefährlich. „Aber wir sollten noch begreifen können, was da passiert, und wir sollten die Auswirkungen noch beherrschen dürfen.“ Weil dies der Einzelne kaum noch vermag, komme den von Gesetzes wegen berufenen Organen der Mitbestimmung umso größere Verantwortung zu, unterstrich Dauderstädt.

Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, sagte, Arbeiten 4.0 sei einerseits längst Realität. „Andererseits wird uns dieser Prozess noch lange Zeit beschäftigen.“ Führungskräfte und Personalvertreter hätten dabei gleichermaßen Gestaltungsmöglichkeiten. Mit Blick auf die umfassende IT-Reform, die 2015 in den Verwaltungen des Bundes angestoßen wurde, erläuterte Engelke, welche Prioritäten der Bund in Sachen Digitalisierung setzt: „Einheitliche Standards und größtmögliche Gewährleistung der Datensicherheit. Wir arbeiten an einer Bundes-Cloud und der Einführung der elektronischen Akte.“ In diesen Prozess sei die Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalräte eng eingebunden. „Ein leistungsfähiger Betrieb lässt sich nur mit Hilfe der Beschäftigtenvertretungen aufbauen“, zeigte sich Engelke überzeugt. Deshalb habe er „obwohl nicht zuständig, viel Sympathie dafür, die Mechanismen der Mitbestimmung zu erneuern“. Er teile allerdings die Einschätzung des dbb Chefs, dass die fällige Reform des Bundespersonalvertretungsgesetzes nicht mehr in der laufenden Legislaturperiode in Angriff genommen werde.

Die Bedeutung der Personalvertretungen im Zuge der Digitalisierung betonte auch der dbb Fachvorstand Beamtenpolitik Hans-Ulrich Benra: „Verwaltung 4.0 geht nicht mit Beteiligung 1.0.“ Es zeige sich bereits jetzt, dass mehr Personal für die anstehenden Veränderungsprozesse gebraucht werde und das vorhandene weiter qualifiziert werden müsse. Um die Belange der Beschäftigten zu berücksichtigen und bei ihnen Vertrauen und Motivation zu wecken, sei insbesondere die Kommunikation zwischen Personal, gewählten Vertretungen und Entscheidern weiter zu verbessern. Als besonders herausfordernde Handlungsfelder für die Personalvertretungen im Zuge der digitalen Transformation führte Benra den Beschäftigten-Datenschutz und die Entgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit an.

Verwaltung als One-Stop-Verfahren

Die Digitalisierung im öffentlichen Dienst Österreichs schilderte Roland Ledinger, Leiter des Bereiches IKT-Strategie des Bundes und E-Government beim Bundeskanzleramt. Seit 17 Jahren sei das Nachbarland auf dem Weg, in der Verwaltung mit dem Tempo der Digitalisierung Schritt zu halten. Im Zuge der digitalen Transformation gehe es um mehr als die „Elektrifizierung“ bestehender Prozesse. Im Bereich der digitalen öffentlichen Dienstleistungen, so habe es etwa der „Digital Economy and Society Index (DESI)“ der Europäischen Kommission gezeigt, sei Österreich beispielsweise bereits „ganz gut“. Daher habe man einen breit angelegten Konsultationsprozess gestartet und eine umfassende Agenda mit zwölf Handlungsfeldern – von Bildung über Soziales bis Wirtschaft – erarbeitet.

Dabei sei deutlich geworden, dass viele Verwaltungsprozesse gerade im Hinblick auf die dahinterliegenden Organisationen neu gedacht werden müssen. „Digitalisierung interessiert sich nicht für Verwaltungsstrukturen“, brachte es Ledinger auf den Punkt. Zwar seien Einzel-Organisationen als „Horte des Wissens“ zu erhalten. Der Bürger wolle und solle hingegen „eine Verwaltung“ erleben. Deshalb müssten die dazugehörigen Berührungspunkte vereinfacht  – etwa in der Kommunikation per E-Mail - und Wege durch Vereinheitlichung verkürzt werden. Als mögliches praktisches Anwendungsgebiet für diese One-Stop- beziehungsweise No-Stop-Verfahren nannte Ledinger den Bereich der Steuerverwaltung. So denke man über Modelle nach, bei denen für jeden Österreicher eine Steuererklärung mittels automatisch gesammelter Daten erstellt wird, die der Bürger dann nur bei Bedarf ergänzen könne.

Die Digitalisierung betreffe aber viele weitere Bereiche. Open Government Data, also das zur-Verfügung-Stellen staatlicher Informationen im Sinne der Transparenz, werde zum „Normalfall“. Hier habe sich allerdings die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Staat nicht immer der beste Anbieter für die Aufbereitung solcher Daten ist. „Wir können keine Apps“, räumte Ledinger ein. Daher wolle man sich zukünftig darauf konzentrieren, Rohdaten in maschinenlesbarer Form anzubieten, die dann von der Zivilgesellschaft je nach Bedürfnis (weiter-)verarbeitet werden können. Auch für die Personalentwicklung würden sich weitreichende Konsequenzen ergeben. So werde es einen erheblichen Wissensverlust durch den demografischen Wandel geben. Um diesen wenigstens teilweise aufzufangen, bedürfe es vermehrter Werbung um junge Fachkräfte, die bereits durch ihre Sozialisation mit digitalen Prozessen vertraut sind („Digital Natives“). Die Arbeitsbedingungen in der Verwaltung müssten an die Bedürfnisse dieser Zielgruppe angepasst werden, etwa in Form von mehr Flexibilität bei Arbeitszeit und -ort. Auch solle die Innovationsbereitschaft des vorhandenen Personals gefördert werden. Zu diesem Zweck habe man das „GovLab“ eingerichtet, einen (derzeit noch) virtuellen Raum, in dem Digitalisierungsprojekte in Kooperation mit der Zivilgesellschaft ohne unbedingten Erfolgsdruck modellhaft auf Machbarkeit und Zweckmäßigkeit getestet werden können.

Ausbildung zu wenig zukunftsorientiert

Prof. Jutta Rump, Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability an der Hochschule Ludwigshafen, machte klar, dass die Digitalisierung bei Weitem nicht die einzige Entwicklung ist, mit der sich die Gesellschaft aktuell konfrontiert sieht. So wirke beispielsweise auch der demografische Wandel weiter, „und wenn wir nicht aufpassen, wird sich auch der Trend zur Polarisierung der Gesellschaft fortsetzen“, sagte Rump in ihrem Vortrag über „Digitalisierung und die Konsequenzen jenseits der Technik“. In Ihren Ausführungen sollte es darum gehen, „Was Betriebs- und Personalräte heute für morgen wissen sollten“. Annähernd jeder sei heutzutage dank mobiler Endgeräte wie Smartphones und Tablets vernetzt und werde selbst zum „Treiber“ der digitalen Entwicklung. Aber kaum jemand mache sich Gedanken über die Konsequenzen, die die technischen Innovationen für arbeitende Menschen mit sich bringen. „Technische Innovationen bedürfen immer sozialer Innovationen“, sagte die Expertin, „es muss uns um einen bewussten Umgang mit dem Personal gehen“. Dabei müsse man sich klarmachen, dass die einschneidenden Veränderungen alle Lebensbereiche erfassen – vom Arbeitsplatz, der Mikro-Ebene, bis zur Gesamtgesellschaft als Makro-Ebene. Dies fände aktuell viel zu wenig Berücksichtigung.

Rump verwies in diesem Zusammenhang auch auf den öffentlichen Dienst: „Wir bilden gerade in rund 340 Berufen aus, aber die Inhalte taugen oft gar nicht mehr für die Zukunft, ja teilweise nicht einmal mehr für die Gegenwart. Und das gilt übrigens auch für viele Studiengänge“, so die Kritik der Wissenschaftlerin. Die Digitalisierung werde neue Berufe hervorbringen, aber auch zu negativen Veränderungen führen. „Zwei Drittel aller Tätigkeiten werden durch Digitalisierung beeinflusst, 20 bis 25 Prozent haben die Gefahr, wegzufallen“, rechnete Rump vor. „Und diese Prozesse werden nicht nur gar nicht oder schlecht qualifizierte Kräfte treffen, sondern auch viele aus dem gut ausgebildeten Mittelfeld.“ Rumps Appell: „Darauf müssen wir vorbereitet sein. Wir müssen berücksichtigen, was uns unersetzbar macht. Das sind vor allem emotionale und soziale Skills.“ Das alles habe auch sehr viel mit Sozialpartnerschaft, mit Mitbestimmung zu tun. Personal- und Betriebsräten komme dabei immer mehr Verantwortung zu. Agiert werde in Spannungsfeldern, die von Verwaltungen ebenso wie von Betrieben „ausbalanciert werden müssen“. Diese Balance müsse etwa zwischen Innovations- und Kostendruck, Bewahren und Verändern, Erreichbarkeit und Verfügbarkeit, der beruflichen und privaten Situation oder auch zwischen den Erwartungen der verschiedenen Generationen gefunden werden. „Das kann nur im Team angepackt werden und gelingen“, zeigte sich Rump überzeugt. Mitarbeiter wie Führungskräfte und erst recht die Personalvertretungen müssten dabei „in Bewegung bleiben, ohne die Balance zu verlieren“, forderte Rump. Deutliche Grenzen sehe sie etwa bei flexiblen Zeitmodellen und mobilem Arbeiten. „An unserem Institut in Ludwigshafen praktizieren wir das seit 17 Jahren“, berichtete die Wissenschaftlerin. Die Erfahrung zeige, dass es bei aller Flexibilität „einiger starrer Rahmenbedingungen“ bedürfe, etwa im Bereich der internen Kommunikation. So müssten auch im schnellen E-Mail-Verkehr die Grundregeln der Höflichkeit beherzigt werden. Führungskräfte müssten beides beherrschen, „sowohl die fachorientierte als auch die mitarbeiterorientierte Führung“. Das könne nur durch „Demokratisierung von Führung“ gelingen, also beispielweise durch Übertragung von Aufgaben an Kräfte, die diese besonders gut lösen könnten. „Dabei sind Personal- und Betriebsräte besonders gefragt. Sie müssen die Mitarbeitenden dabei unterstützen, ihre Rolle bei der Partizipation und Demokratisierung aktiv wahrzunehmen. Dafür sollten auch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen genutzt werden.“

Mitbestimmungsregeln auch für Arbeit 4.0

Mögliche Zweifel einiger Forumsteilnehmer, die Bestimmungen der geltenden Mitbestimmungsgesetze könnten ungeeignet sein, die Beschäftigten in Zeiten von Arbeit 4.0 wirkungsvoll zu schützen, zerstreute Timo Hebeler, Professor für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Verwaltungswissenschaften an der Universität Trier: „Im öffentlichen Dienst lässt sich jede Arbeitgebermaßnahme zur Verbreitung von digitaler Kommunikation und Verarbeitung, die allgemein unter dem Sammelbegriff Big Data zusammengefasst wird, durch die vorhandenen Regelungen in  den Griff bekommen“, hob der Jurist hervor. Aus diesem Grund sehe er auch keinen dringenden  Handlungsbedarf für eine Novellierung der Personalvertretungsgesetze des Bundes und  der Länder in Bezug auf den Digitalisierungsprozess. Diese Auffassung untermauerte Hebeler durch die eingehende Vorstellung der in den Paragrafen 75, 76 und 78 geregelten Mitbestimmungsrechte des Personalrates bei der Festlegung von Beginn und Ende der Arbeitszeit, der Gestaltung des Arbeitsplatzes, der Einführung neuer Arbeitsmethoden sowie dem Anhörungsrecht bei geplanten Änderungen von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen. Durch Wahrnehmung dieser Rechte könne der Entgrenzung von Arbeit sehr wohl Paroli geboten werden, so Hebelers Überzeugung. Kluge Voraussicht habe der Gesetzgeber auch durch Paragraf 75, Absatz 3 BPersVG bewiesen, der „die Überwachung der Beschäftigten durch Technik“ zum Gegenstand der Mitbestimmung macht. Diese Regelung, die so seit 1974 im Gesetz steht, stamme zwar aus der Steinzeit der EDV: „Doch obwohl moderne Begriffe dort noch nicht eingebaut sind, skizziert Paragraf 75 alle Big Data-Aktivitäten des Arbeitgebers.  Sie sehen, auch bei geltender Rechtslage ist der Personalrat nicht außen vor“, sagte der Jurist.

Der Nachmittag des ersten Veranstaltungstages bot den Teilnehmern Gelegenheit zum fachlichen Informations- und Erfahrungsaustausch. In drei parallelen Fachforen ging es um ausgewählte Handlungsfelder des Personalrats auf dem Weg in die Digitalisierung. In Forum 1 stellte die Vorsitzende des Hauptpersonalrats im Bundesinnenministerium (BMI), Rita Berning, unter dem Motto „Das BMI macht mobil“ eine Dienstvereinbarung aus dem Ministerium zur Diskussion. Um „Optimale Personalratsbeteiligung bei Verhaltens- und Leistungskontrolle“ ging es im Forum 2. Dort steuerte Peter Ansorge, Leiter der Beratungsstelle Informationstechnik und Arbeitssystemgestaltung an der Universität Bremen, den Impulsvortrag bei. Forum 3 befasste sich  unter der Überschrift „Vom schwarzen Brett zu Social Media“ mit der Frage nach dem „Personalrat als ‚Follower‘ der Beschäftigten“ (Impulsvortrag: Oliver Welte von der dbb akademie). Der erste Tag des Forum klang mit Improvisationstheater der „Gorillas“ und Gesprächen bei Brezeln und Bier aus.

Überforderung der Beschäftigten vermeiden

Um das brandaktuelle Thema „Daheim und unterwegs – entgrenzte Arbeit zwischen Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung“ ging es zum Auftakt des zweiten Veranstaltungstages. Prof. Dr. Wolfgang Däubler von der Uni Bremen machte in seinem Vortrag klar, dass Dienstherr und Arbeitgeber gemeinsam mit dem Personalrat in der Pflicht stehen, die Beschäftigten „mitzunehmen“ und bei der Abgrenzung zwischen „Privat“ und „Dienstlich“ zu unterstützen. Im Zusammenhang mit mobilem Arbeiten stelle sich oft die Frage: Wann ist Feierabend, wenn ich doch ständig erreichbar bin? Dem Personalrat komme gerade in diesem Bereich eine Schutzfunktion zu, so Däubler, um eine Überforderung der Beschäftigten zu vermeiden – „entweder durch ein neues Mitbestimmungsrecht mit klaren Aussagen zur Belastungsgrenze oder durch ein Vetorecht bei besorgniserregender Überforderung“.

Auf die Eigenverantwortung der Beschäftigten wies Rita Jenewein hin. Die Berliner Expertin für Organisations- und Personalberatung und Gesundheitsförderung machte deutlich, dass neben Dienst- herr oder Arbeitgeber sowie dem Personalrat auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst in der Pflicht stünden, auf ihre Gesundheit zu achten. Gesundheit sei nicht zuletzt deshalb ein so wichtiges Thema, weil die Digitalisierung die Arbeitsprozesse revolutioniere. „Der Mensch, der Behördenmitarbeiter wird eher zum ‚Kontrolleur‘ des Computers und hat nur noch kleine Arbeitsschritte autonom zu gestalten“, so Jenewein. Das wirke sich insbesondere auf die Psyche aus, weil vielen Arbeitenden das Gefühl abhanden komme, am Großen und Ganzen mitzuwirken. Jeneweins Schlussfolgerung: „Der Personalrat muss sich zum Promoter des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten machen.“

Unter dem Motto „Der analoge Personalrat in der digitalisierten Verwaltung“ ging es im Vortrag des Fachanwalts Dr. Magnus Bergmann (Münster) zum Abschluss noch einmal um gesetzliche Aspekte im Zusammenhang mit der Personalratsarbeit.  Es brauche ein Personalvertretungsrecht „zum Anfassen“, so Bergmann. Die Gewerkschaften müssten sich dafür einsetzen, dass der Gesetzgeber verbleibende Rechtsunsicherheiten  aufgrund der veränderten Arbeitsbedingungen ausgleicht.

 

zurück