Hintergrund

Tarifverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst: Zwischensprint für bessere Arbeitsbedingungen

Die Berufe im Sozial- und Erziehungsdient müssen aufgewertet werden, das streiten mittlerweile auch die Arbeitgeber nicht mehr ab.

 

Doch der Weg dahin ist lang. Deshalb  zieht der dbb mit den im Februar beginnenden Tarifverhandlungen erneut das Tempo an. Von den allgemeinen Tarifverhandlungen mit Bund und Kommunen für den Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD), die zuletzt im Herbst 2020 stattfanden, profitieren zwar auch die überwiegend im kommunalen Bereich beschäftigten Fachkräfte im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE). Allerdings lassen sich die Besonderheiten der Jobs und die langfristige Aufwertung im Rahmen der „großen“ Tarifrunde nur schwerlich so berücksichtigen und umsetzen, wie es notwendig wäre. Daher haben die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) und die beteiligten Gewerkschaften schon vor langer Zeit vereinbart, sich darüber hinaus immer wieder intensiv nur mit den Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit und der frühkindlichen Bildung zu beschäftigen.

So konnten zuletzt im Jahr 2015 wichtige Verbesserungen erreicht werden, etwa eine grundsätzlich höhere Eingruppierung. Nicht zu unterschätzen sind auch die Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte, denn die Wertschätzung der Öffentlichkeit für soziale Berufe ist in der Auseinandersetzung in den letzten Jahren enorm gestiegen. Denn obwohl viele Betroffene natürlich unter den Folgen eines Arbeitskampfes im SuE-Bereich leiden, ist die Solidarität mit den Streikenden überwiegend enorm – gerade Kita-Eltern wissen beispielsweise um die fantastische Leistung der Erzieherinnen und Erzieher.

Auf dem langen Weg zu einer Aufwertung sollte dann bereits Mitte 2020 eine neue Wegmarke erreicht werden, doch die Corona-Pandemie erwies sich als zu hohe Hürde. Sie erschwerte nicht nur konstruktive Verhandlungen der komplexen Materie, sondern schränkten auch die Aktions- und Streikfähigkeit der Beschäftigten ein, insbesondere mit Blick auf die ohnehin hohe Belastung aller Betroffenen während der Pandemie.

Am 25. Februar 2022 werden der dbb und die Arbeitgeber die vertagten Verhandlungen nun wieder aufnehmen. Doch natürlich ist in den letzten Monaten viel geschehen. Gerade die Situation in den Kitas und Schulen ist auch heute noch einerseits sehr angespannt, andererseits hat Corona die essentielle Bedeutung der SuE-Fachkräfte einmal mehr aller Welt vor Augen geführt. Mit immer größer werdenden Sorgen blicken die Fachleute etwa auf die möglichen langfristigen Folgen der verlorenen haltgebenden pädagogischen Arbeit für zehntausende Kinder. Auch in der Sozialen Arbeit

Deshalb haben die Gewerkschaften ihren Forderungskatalog an die neue Situation angepasst (vollständige Forderungskatalog siehe Kasten). Im Fokus steht dabei selbstverständlich nach wie vor die finanzielle Aufwertung des Berufsfeldes. Auch, um dem bereits jetzt eklatanten Fachkräftemangel etwas entgegen zu setzen und mehr Menschen für die Arbeit im SuE-Bereich zu gewinnen. Denn wollte man beispielsweise die wissenschaftlich empfohlenen Betreuungsschlüssel im Kita-Bereich bundesweit umsetzen, würden schon heute weit über 100.000 Fachkräfte fehlen – von der schon chronisch unterbesetzten Sozialen Arbeit ganz zu schweigen.

Neben der finanziellen Attraktivität gibt es aber noch viele weitere Aspekte, die ab Februar diskutiert werden sollen. Eine wichtiges Thema ist etwa „Zeit“, und das gleich unter mehreren Gesichtspunkten: So sollen beispielsweise Leitungsfunktionen nicht nur entsprechend bezahlt werden, sondern auch durch die verpflichtende Einführung von Stellvertretungspositionen entlastet werden – die dann natürlich ebenfalls entsprechend der Verantwortung entlohnt werden muss. Aber auch ganz grundsätzlich soll die Arbeit „am Menschen“ qualitativ besser werden, in dem mehr Vorbereitungszeit für Inhalte und auch Organisatorisches eingeplant wird. Denn als Streetworker lässt sich der Papierkram eben schwerlich unterwegs nebenbei erledigen, um nur ein Beispiel zu nennen.

Nicht zuletzt wird es bei den Verhandlungen, die für den dbb der Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach (siehe Interview unten) führen wird, auch um das Thema „Qualifikation“ gehen. Hier fordern die Gewerkschaften nicht weniger als einen Rechtsanspruch der Beschäftigten auf regelmäßige Fortbildungen, ganz im Sinne einer qualitativ hochwertigen frühkindlichen Bildung und Sozialen Arbeit. Fort- und Weiterbildungen sollten dann selbstverständlich auch bei der Bezahlung honoriert werden. Mehr Qualität soll nicht zuletzt auch durch eine bessere Vergütung und größere Zeitkontingente für jene Beschäftigten erreicht werden, die die Praxisanleitung von Nachwuchskräften übernehmen.

Nachgefragt beim dbb Bundesvorsitzenden und Verhandlungsführer Ulrich Silberbach

Herr Silberbach, 2020 wurden die SuE-Verhandlungen wegen der Corona-Pandemie vertagt. Was ist denn heute anders?

„Niemand kennt sich mit ‚Verantwortung‘ besser aus als die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst. Und es erschien uns unverantwortlich, in der gerade Fahrt aufnehmenden Pandemie mit allen ihren Unwägbarkeiten und schlimmen Folgen über die wichtigen Themen im Berufsfeld auf Teufel komm raus zu verhandeln. Zeitgleich haben wir mit den kommunalen Arbeitgebern ja beispielsweise einen Tarifvertrag über Kurzarbeit abgeschlossen – ein absolutes Novum im öffentlichen Dienst! Heute stellt sich die Situation deutlich anders da: Die Pandemie ist natürlich nicht vorbei, aber dank des Impffortschritts und den gesammelten Erfahrungen der letzten Monate sind wir der Meinung, verantwortungsbewusste Tarifverhandlungen führen zu können. Unsere Themen werden ja auch nicht weniger drängend.“

Also müssen sich Eltern, von denen viele in den letzten Monaten ohnehin enorm belastet waren, im März und April auf Kita-Streiks einstellen?

„Das haben in erster Linie die Arbeitgeber in der Hand. Leider sieht es nicht so aus, als wären sie derzeit bereit, die notwendigen Schritte zu gehen. Aber das ist ja auch nicht unüblich und Streiks sind nun mal ein wesentlicher Bestandteil von Tarifkonflikten beziehungsweise Arbeitskämpfen. Und seien wir ehrlich: Irgendeinen Grund werden Gegner der Wertschätzung für die Beschäftigten immer finden, warum ein Streik in einem bestimmten Moment total unpassend ist. Aber ich kann versprechen, dass wir verantwortungsvoll mit dem Streikrecht umgehen. Das haben wir immer getan. Deshalb ist etwa im Kita-Bereich eine deutliche Mehrheit der Eltern auf unserer Seite. Statt wütend auf die Erzieherinnen und Erzieher zu sein, stellen die sich mittlerweile mit einem Plakat zusammen mit uns zum Protestieren vor das Rathaus. Das ist wunderbar.“

Haben Sie keine Sorge, dass die Pandemie ihre Aktionsfähigkeit als Gewerkschaft einschränkt?

„Nein. Als wir mit den Verhandlungen zur dauerhaften Aufwertung des SuE-Bereichs angefangen haben, war bei den Beschäftigten eine große Zurückhaltung zu spüren. Da musste man die Leute gefühlt noch zum Jagen tragen. Das Phänomen ist ja aus vielen sozialen Berufen bekannt. Aber das ist lange vorbei, wie man etwa auch an den Pflegestreiks letztes Jahr in Berlin gesehen hat. Es gibt ein ganz neues Selbstbewusstsein bei den Beschäftigten und das freut mich sehr! Daher bin ich mir sicher, dass wir auch unter Berücksichtigung der Corona-Regeln den notwendigen Rückenwind erzeugen können. Und den brauchen wir als Gewerkschafter, die am Verhandlungstisch die Gespräch führen, auch. Ob mit Streiks oder neuen, kreativen Protestformen: Wir werden gemeinsam für ein starkes Ergebnis kämpfen!“

 

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