dbb Hearing zum Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst:

Verstärkung gesucht

Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden den öffentlichen Dienst in den kommenden Jahren mit besonderer Wucht treffen, weil seine Personalstruktur durch Reformen belastet ist und als Folge des Spardiktats stetig ausgedünnt wird. In seinem „Hearing Fachkräftemangel“ hat der dbb am 7. Oktober 2014 in Berlin unter dem Motto „Team Öffentlicher Dienst sucht Verstärkung“ gemeinsam mit Politikern, Praktikern, Arbeitsmarktexperten und der interessierten Öffentlichkeit nach Strategien gesucht, die geeignet sind, die personellen Probleme des öffentlichen Dienstes nachhaltig zu beseitigen.

Die Diskussion orientierte sich an vier zentralen Fragen: Bemühen sich die Personalverantwortlichen im öffentlichen Dienst wirklich ausreichend um Nachwuchskräfte? Wie lässt sich der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst in Zukunft erfüllen? Und welche Maßnahmen sind unabdingbar, um die Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber zu erhöhen? Und: Wie kann der Anspruch der Beschäftigten auf ein zeitgemäßes Arbeitsumfeld durchgesetzt werden?

„Es will sorgfältig abgewogen sein, wo weniger Bürger weniger Staat rechtfertigen“, entkräftete der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt in seiner Begrüßung die Kernargumentation jener, die die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur in Folge des demografischen Wandels zur Verharmlosung nutzen. Der dbb Chef warnte eindringlich vor einer Unterschätzung des drohenden Fachkräftemangels im öffentlichen Dienst und machte deutlich, dass das Alarmschlagen des gewerkschaftlichen Dachverbandes dbb angesichts fehlenden Personals weit entfernt von „Panikmache“ sei.

„Es brennt, meine Damen und Herren!“, rief er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des dbb-Hearings zu und lenkte den Blick des Publikums auf den Zustand des Patienten öffentlicher Dienst: „Einige Fakten lassen sich kaum bestreiten: Jeder dritte Beschäftigte der deutschen öffentlichen Hände ist ein rentennaher Jahrgang, zwischen 50 und 60 Jahre alt. Das Durchschnittsalter aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegt bei 44,6 Jahren. In den kommenden 15 Jahren wird es 1,5 Millionen Wechsel in den Ruhestand geben. Erwartet werden im gleichen Zeitraum etwa 800 000 Neueinstellungen, was nach Adam Riese einen fast gleich hohen Fehlbestand von 700 000 freien Stellen ergibt“, stellte Dauderstädt fest.

Ein Teil dieses Personalmangels könne sicher durch demografisch definierte Anpassungen der Verwaltung als Synergie-Effekt kompensiert werden, räumte der dbb Bundesvorsitzende ein, betonte aber: „Es gibt keinen linearen Zusammenhang zwischen der Bevölkerungsdichte einerseits und dem Personal der öffentlichen Hand andererseits.“ Schutz vor Lebensrisiken, Gewaltmonopol für den Staat, umfassende Bildungsangebote dürften nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Aufgrund der in Folge von Personalabbau und Aufgabenzuwächsen massiven Arbeitsverdichtung und des erhöhten Erledigungsdrucks würden die Beschäftigten zudem zunehmend krank, was die Lücken wiederum noch größer werden ließe. „Wir stellen fest, dass diese Störung in so manchem Gesundheitsamt, Finanzamt oder Gericht, mancher Schule oder Kita heftig spürbar ist. Der Bürger will weder doppelt so lange Wartezeiten haben, noch fehlerhafte Erledigung, weil nicht genügend Zeit oder Sachverstand präsent waren. Nehmen wir daher das Thema bitte ernst“, appellierte Dauderstädt. „Warten wir nicht ab, bis es zu spät ist und der uns vertraute und verlässliche Rechts- und Sozialstaat regional oder funktional ausfällt!“

Özoguz: Migranten sind keine Lückenfüller

Dass den öffentlichen Dienst berechtigte Nachwuchssorgen plagen und dass es im schärfer werdenden Wettbewerb mit der Wirtschaft zunehmend schwieriger wird, Verstärkung für die öffentliche Verwaltung zu finden, räumte auch Aydan Özoguz ein. Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration konzentrierte sich in ihrem Impulsreferat „Diversity im öffentlichen Dienst – Herausforderung und Chance für die Bundesverwaltung“ auf die Rolle, die Menschen mit Migrationshintergrund bei der Bewältigung des Fachkräftemangels im öffentlichen Dienst zugedacht wird: „Migranten können nicht die Lückenfüller sein“, warnte Özoguz. Deutschland sei längst ein Einwanderungsland. „Jedes dritte Kind unter zehn Jahren hat heute einen Migrationshintergrund. Deshalb ist es höchste Zeit, unsere kulturelle Vielfalt als gelebte Realität anzuerkennen. Bei der Rekrutierung von Menschen mit Migrationshintergrund als Beschäftigte im öffentlichen Dienst müsse daher endlich nach dem Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe verfahren werden. „Die Menschen nach ihren Fähigkeiten zu fördern und nicht nach ihrer Herkunft - das ist echtes Diversitymanagement!“, machte Özoguz deutlich und verwies auf den positiven Einfluss, den anonymisierte Bewerbungsverfahren auch bei der Personalauswahl für Ämter und Ministerien ausüben könnten. Häufig verleite bereits ein fremdländisch klingender Name Personalverantwortliche, die Bewerbung auszusortieren. „Es wird einfach ignoriert, dass es bei den Bewerbern mit ausländischen Wurzeln um Menschen handelt, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Ich halte es für sehr wichtig, dass Führungskräfte in diesen Fragen sensibilisiert werden. Insbesondere die Behördenleitungen müssen in den Lernprozess zum interkulturellen Wandel mitgenommen werden.“

Alt: 40 Prozent junge Staatsdiener befristet

Heinrich Alt, Vorstand Arbeitsmarkt der Bundesagentur für Arbeit, stellte in seinem Statement zu den personellen Herausforderungen des öffentlichen Dienstes unmissverständlich klar: „Wenn der Staat auf den demografischen Wandel nicht reagiert, steht die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes auf dem Spiel.“ Denn der Arbeitsmarkt-Experte weiß wie kein anderer um die anstehenden Entwicklungen. „In Folge des demografischen Wandels wird Deutschland Schwierigkeiten haben, den benötigten Bestand an Arbeitskräften zu halten“, so Alt. In den nächsten zehn Jahren würden insgesamt rund sechs Millionen Arbeitskräfte altersbedingt ausscheiden, elf Millionen Fachkräfte seien schon heute älter als 40 Jahre. Den öffentlichen Dienst treffe der demografische Wandel nicht nur früher, sondern auch härter als die Unternehmen der freien Wirtschaft, „denn die Belegschaft im Staatsdienst ist deutlich älter: Ein Fünftel geht in den nächsten Jahren in den Ruhestand.“ Handlungsbedarf sei also gegeben, betonte Alt. „Wenn der öffentliche Dienst im Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen will, muss er an einigen Stellschrauben optimieren“, forderte der BA-Vorstand.

So müsse der Zugang zum Einstieg in den Staatsdienst weiter geöffnet werden, insbesondere für junge Menschen mit Zuwanderungshintergrund. „Sie und auch ihre Eltern und Familien brauchen eine bessere kulturspezifischere Ansprache.“ Die Qualität der Ausbildung im öffentlichen Dienst an sich sei gut, räumte Alt ein, „aber die Quantität nicht: Wo soll denn der qualifizierte Nachwuchs herkommen, wenn wir ihn aus finanziellen Erwägungen nicht halten?“, fragte Alt mit Blick auf die zunehmende Befristungspraxis im öffentlichen Dienst. „Der öffentliche Dienst ist der größte Sünder bei befristeter Beschäftigung, das ist qualitätsfeindlich“, kritisierte der BA-Vorstand. „Es ist ein nicht hinnehmbarer Zustand, dass 40 Prozent der Beschäftigten im Staatsdienst unter 35 Jahren befristet beschäftigt sind.“ Die Folge sei ein instabiler, dysfunktionaler Personalkörper. „Das ist schlecht, das geht zu Lasten der Beschäftigten und der Kunden gleichermaßen.“ Die Politik mit ihrem haushalterischen Einfluss auf die Behörden drohe, die Zukunft des öffentlichen Dienstes zu verspielen, warnte Alt. „Die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ist ein ganz zentraler Standortfaktor im internationalen Wettbewerb“ und sei unbedingt zu erhalten.

In punkto Einkommen sei die Nachwuchsgewinnung für den öffentlichen Sektor grundsätzlich schwierig, stellte Alt zudem fest, insbesondere bei den stark nachgefragten Berufsgruppen wie etwa im IT-Bereich, bei Ärzten oder Ingenieuren könne der öffentliche Dienst nur selten wettbewerbsfähige Gehälter zahlen. Gleichwohl gäbe es noch andere Rahmenbedingungen, die durch Attraktivitätssteigerung gute Gründe für einen Einstieg in den öffentlichen Dienst sein könnten: „Wir müssen auch die vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des öffentlichen Dienstes stärker herausstellen und ausbauen – auch funktionale Wechsel sollten möglich sein, um besser auf individuelle Bedürfnisse der Beschäftigten eingehen zu können. Der öffentliche Dienst kann auch noch familienfreundlicher werden: Teilzeit ist üblich, aber die gibt es in der freien Wirtschaft auch reichlich, und dann nimmt es auch schon wieder schnell ab mit der Flexibilität. Home-Office, Vertrauensarbeitszeit oder Sabbatical haben noch Seltenheitswert im Staatsdienst, die Wirtschaft hat da schon mehr Best Practice im Angebot, die gut ankommt“, erläuterte der BA-Vorstand. Wichtig für eine positive Außendarstellung seien zudem eine gute Führungskultur, Zusammenarbeit, Teamwork und eine lebendige Feedback- und gute Fehlerkultur, betonte Alt – „wenn der öffentliche Dienst nach außen demonstriert, dass er auch eine mutige Branche mit Modernisierungs- und Tatendrang ist, motiviert das Außenstehende mitzumachen.“

Praktiker: Junge ausbilden und übernehmen...

Im letzten Teil des Hearings versammelten sich neun Repräsentanten aus verschiedenen Berufsgruppen und Tätigkeitsfeldern des öffentlichen Dienstes auf dem Podium und gewährten den Teilnehmenden des Hearings unter der Moderation des Zweiten dbb Vorsitzenden und Fachvorstand Tarif, Willi Russ, Einblicke in ihre Arbeitswelt.

Die Vorsitzende der dbb jugend Sandra Kothe kritisierte die mangelnde Attraktivität der Arbeitsbedingungen in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes und damit einhergehende sinkende Bewerberzahlen. Wenn Bewerber zudem sähen, dass zum Beispiel in der Steuerverwaltung von 400 Bewerbern nur rund 130 überhaupt eingestellt und am Ende nur 30 unbefristet übernommen würden, sei es nur logisch, wenn sich qualifizierte junge Leute anderweitig orientierten. „Nicht nur die Gewerkschaften müssen für Verbesserungen der Rahmenbedingungen kämpfen. Der Staat muss in Sachen Rekrutierung seine Hausaufgaben machen und für bessere berufliche Perspektiven sorgen. Mit Befristungsketten können wir keine beruflichen Perspektiven schaffen.“

Sana Saidi vom Verband der Beschäftigten der oberen und obersten Bundesbehörden (VBOB) beleuchtete die Ausbildungssituation im öffentlichen Dienst aus Sicht junger Menschen mit Migrationshintergrund und stritt für mehr Selbstvertrauen: „Der öffentliche Dienst ist im beruflichen Bewusstsein der Elterngeneration von Migrantenkindern nicht wirklich präsent, was natürlich auf den Nachwuchs abfärbt.“ Es überwögen die Zweifel, ob der öffentliche Dienst überhaupt an jungen Migranten interessiert sei. „Nehmen die mich überhaupt?“ sei die Frage, die vor einer Bewerbungsentscheidung am häufigsten gestellt würde. Hier müssten die Arbeitgeber mehr tun, denn insgesamt sei der öffentliche Dienst nicht unattraktiv. Jedoch kämpfe er mit gewaltigen Strukturproblemen. Für ihren Arbeitsbereich, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, konstatierte Saidi: „Wir haben unsere besten Leute jahrelang auf die Straße gesetzt, weil wir sie nach erfolgreicher Ausbildung nicht übernommen haben. Heute bekommen wir nicht mehr genügend Bewerber.“

Erzieher und Lehrer besser bezahlen…

Für die Erzieherin Marieluise Baumeister von der komba gewerkschaft ist die schlechte Bezahlung insbesondere im Bereich der Kitas eines der größten Probleme: „Fachkräftemangel haben wir in den Kitas seit 40 Jahren, weil die Bezahlung seit 40 Jahren zu schlecht ist.“ So genannte „weiche Faktoren“ wie flexible Arbeitszeiten oder gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf wollte Baumeister als positive Eigenschaften des öffentlichen Dienstes für Erzieher nicht gelten lassen: „Eine Erzieherin oder seltener ein Erzieher muss mit dem Einkommen auskommen können. Es gehört schon viel Idealismus dazu, mit 1 300 Euro nach Hause gehen zu müssen.“ Deswegen sollte die Politik frei werdende Gelder nicht in Bauten und Material stecken, sondern in Personal. Mit „Menschen statt Steine“ umriss Baumeister ihr Credo und betonte, dass sie ihre Hoffnungen auf eine Verbesserung der Situation im Erziehungsbereich in die Einkommensrunde 2015 lege.

Udo Beckmann, der Bundesvorsitzende des Verband Bildung und Erziehung (VBE) bewertete den Nachwuchskräftemangel bei den Lehrern als „hausgemacht. Seit Jahrzehnten schwanken wir zwischen Lehrer-Mangel und Lehrer-Schwemme und brauchen dringend eine bundesweite Lehrerbedarfsanalyse. Diese wurde aber von der Kultusministerkonferenz seit 2009 nicht mehr vorgelegt.“ Deshalb könne beispielsweise der Mehrbedarf an Personal im Bildungsbereich im Zuge der Inklusion allenfalls grob geschätzt werden, kritisierte Beckmann. Der Lehrer-Gewerkschafter empfahl zudem dringend, die Bezahlsysteme schultypübergreifend zu vereinheitlichen und die Lehrkräfte nicht länger „nach der Schuhgröße der Kinder zu bezahlen: Die Bezahlung im Grund-und Hauptschulbereich ist derart unbefriedigend, dass leistungsstarke Abiturienten gar nicht erst erwägen, dort tätig zu werden und sich abwenden.“

Korrekturen am Image vornehmen…

Keinen Imageeinbruch für „die Freunde und Helfer“ der Polizei wollte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, als Ursache für den Nachwuchsmangel im Polizeibereich verantwortlich machen. „Wir haben deshalb zu wenig Bewerber, weil wir grob geschätzt acht brauchen um einen auszuwählen.“ Als noch nicht ausreichend genutzte Personal-Ressourcen nannte Wendt Menschen mit Migrationshintergrund, die im Polizeidienst noch immer unterrepräsentiert sind. Die Attraktivität des Polizeiberufes müsse aber auch für Frauen erhöht werden, was letztlich nur gelinge, wenn das „Berufsmachotum“ eingedämmt werde: „Vorgesetzte, die an dieser neuen Führungskultur nicht teilhaben, müssen abgelöst werden können“, forderte Wendt.

Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG) und stellvertretender dbb Bundesvorsitzender, gab zu bedenken, dass die demografische Entwicklung besonders im Bereich der Finanzverwaltung für „historische Probleme“ sorgen werde. „50 Prozent der Beschäftigten in den Finanzämtern werden in den nächsten Jahren gehen.“ Dabei verließen die Ruheständler das Amt durch die weit geöffnete hintere Tür. „Wir haben aber auch einen Nebeneingang, durch den junge Leute, die wir super ausgebildet haben, das Finanzamt in Richtung Wirtschaft verlassen, um zum Beispiel bei einem Steuerberater tätig zu werden. Zugleich wird der Haupteingang immer enger. Es kommen immer weniger Bewerber, und wir spüren auch qualitative Probleme.“ Das werde dramatische Folgen für den Staat und seine Finanzierung haben. „Denn wie heißt es volkstümlich so schön: Ohne Moos nix los.“

Eigenthaler hält es darüber hinaus für überfällig, dass die Berufsgruppen in der Finanzverwaltung endlich von ihrem „grauen Image“ befreit werden. Im Rahmen eines für 2015 geplanten „Tag der Steuergerechtigkeit“, werde die DSTG versuchen der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass wahre Steuergerechtigkeit in Deutschland nur garantiert werden kann, wenn die personelle Ausstattung der Finanzverwaltungen zufriedenstellend ist.

Spezialisten mit Zulagen im Staatsdienst binden...

Dr. med. Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamtes Hamburg-Altona, berichtete von der jüngsten Einstellungsrunde für die Gesundheitsämter der Hansestadt: Fünf Arztstellen waren ausgeschrieben, eine Bewerbung ging ein, der Bewerber sagte jedoch das Vorstellungsgespräch ab. Mediziner schreckt der öffentliche Gesundheitsdienst offenbar ab, und Amtsarzt Nießen weiß, woran es vor allem liegt: „Im Gesundheitsamt verdient ein Arzt im Monat durchschnittlich 1 000 Euro weniger als in einer Praxis oder Klinik.“ Die Folgen des Ärztemangels im öffentlichen Gesundheitsdienst könnten dramatisch sein, skizzierte Nießen mit Blick auf die aktuelle Entwicklung: „Einen oder zwei an Ebola erkrankte Patienten bekommen wir noch gut untergebracht, aber dann wird es auch schon schwierig, denn uns obliegen in solchen Fällen ja neben der Behandlung auch die Ermittlung von Kontaktpersonen und viele weitere Aufgaben.“ Den Schularzt oder Schulzahnarzt werde es bald nicht mehr geben, warnte Nießen, und auch in Sachen Hygienekontrolle an allen Krankenhäusern könne man sich leicht ausmalen, wozu eine an allen Ecken und Enden zu kurze Personaldecke führen könnte: „Schon heute sterben 30 000 Menschen pro Jahr an so genannten ‚Killer-Keimen‘, die sie sich bei einem Klinikaufenthalt eingehandelt haben.“ Bessere Bezahlung sei im Fall des öffentlichen Gesundheitsdienstes definitiv ein Weg zur Verbesserung der Personalsituation, so der Amtsarzt, der auch Vize-Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) ist. Gleichzeitig sieht er in der besseren Planbarkeit, die Amtsärzte aufgrund fehlender Nachtdienste und der Verbeamtung hätten, ein Attraktivitätsmerkmal, das besser „vermarktet“ werden müsse, ebenso sei es mit der Sinnhaftigkeit der besonderen Aufgabe, nicht nur Individualmedizin zu praktizieren, sondern Gesundheitsfürsorge für die gesamte Bevölkerung zu leisten, so Nießen.

Jutta Vollath-vom Hoff, Referatsleiterin Personal im Zentrum für Informationsverarbeitung und -technik des Bundes (ZIVIT) und Vertreterin der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ), berichtete vom Fachkräftemangel beim IT-Dienstleister des Bundes. Noch bekäme man IT-Personal, „aber schon heute ist absehbar, dass wir in schweres Fahrwasser kommen“, sagte Vollath-vom Hoff. So brächen die Bewerbungen beim ZIVIT-eigenen Studiengang für Verwaltungsinformatik aktuell dramatisch ein: „Der Kampf um Nachwuchs aus den geburtenschwachen Jahrgängen ist in unserem Sektor bereits entbrannt.“ Oft könne man offene Stellen nur besetzen, weil man die Anforderungen an die Bewerber sehr aufweiche, doch das deutliche Gehaltsgefälle zur freien Wirtschaft sei selbst in solchen Fällen am Ende so ausschlaggebend, dass die öffentliche Verwaltung den Kürzeren ziehe. „Ich frage mich, wo die ‚IT-Zulage‘ bleibt“, forderte die Personalexpertin mit Blick auf die 60er Jahre, in denen man im öffentlichen Dienst die – mittlerweile weitgehend wieder abgeschaffte - „Technikerzulage“ einführte, um entsprechende Fachkräfte für den Staatsdienst zu gewinnen. Neben einer wettbewerbsfähigeren Bezahlungsstruktur nannte Vollath-vom Hoff als weiteren Bestandteil einer Nachwuchsmarketing-Strategie, dass der öffentliche Dienst die Sinnhaftigkeit seiner Aufgabenerfüllung stärker in den Vordergrund rücken müsse: „Wir sagen zu selten, wofür wir stehen, wie kreativ wir sind, wie flexibel und attraktiv als Arbeitgeber. Denn das ist genau das, was junge Menschen heutzutage von denen, für die sie arbeiten sollen, erwarten: eine spannende, sinnvolle Aufgabe. Das sagen uns alle Umfragen.“

Christof Weier, stellvertretender Vorsitzender Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft (BTB) Hessen und Techniker im Referat Produkt- und Betriebssicherheit im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration beschrieb anschaulich die Schwierigkeiten des technischen Dienstes, den „gordischen Knoten“ aus Personalmangel, Schuldenbremse und Aufgabenflut zu durchschlagen. Natürlich gelinge dies nicht, und so lägen in Hessen dringende Straßeninstandsetzungsarbeiten in der Warteschleife, weil die Straßenbauverwaltung „auf dem letzten Loch pfeift“, marode Brücken könnten nicht saniert werden. „Uns fehlen für solche Projekte schlicht die Fachkräfte, die die ausführenden Unternehmen auf Augenhöhe begleiten könnten“, so Weier. Auch die Tatsache, dass beispielsweise am Frankfurter Flughafen, internationales Drehkreuz für die Lebensmittelein- und -ausfuhr, nur noch ein einziger Lebensmittelchemiker zur Kontrolle eingesetzt sei, sorge für massive Bedenken hinsichtlich der Qualität des Verbraucherschutzes, warnte Weier. Eine Besonderheit, die die Nachwuchsgewinnung für Fachkräfte im technischen Dienst zusätzlich erschwere, sei die Tatsache, „dass wir die Experten zunächst ‚von draußen‘ einkaufen müssen, das heißt, die haben schon eine Ausbildung und Berufserfahrung außerhalb der Verwaltung – wir selbst bilden sie ja nicht aus. Diese Leute müssen wir dann erst einmal in Sachen Staatsdienst schulen, denn Verwaltungshandeln folgt aus guten Gründen strengen Vorschriften und Rechtsgrundlagen.“ Wer Fachkräfte für dieses anspruchsvolle Programm gewinnen wolle, brauche schon sehr gute Argumente, betonte Weier: „Das fängt sicher bei einer anständigen und konkurrenzfähigen Bezahlung an. Wenn wir gestandene Meister immer noch in A7 einstufen, brauchen wir uns nicht wundern, wenn wir beim Nachwuchs den Kürzeren ziehen.“ Auch in punkto Arbeitszeit, bei der Hessens Beamtinnen und Beamte mit 42 Wochenstunden den Spitzenplatz belegen, sieht Weier Verbesserungspotenzial: „Der Berufsnachwuchs fragt nach Work-Life-Balance, denkt in Lebensarbeitszeit. Darauf muss der Staatsdienst Antworten haben.“

Plenum: Das Produkt zum Strahlen bringen

Die Diskussion mit dem Plenum ergab, dass viele Probleme der Nachwuchsgewinnung nach wie vor auch mit der Außendarstellung des öffentlichen Dienstes zusammenhängen. „Selbst die Verbeamtung zieht oft nicht mehr, die jungen Leute wollen eine interessante Aufgabe, und wenn sie die an anderer Stelle finden, dann gehen die einfach – Beamtenstatus hin oder her“, hieß es beispielsweise. Und: „Man lese sich einmal die Stellenausschreibungen der Behörden und Verwaltungen durch – das ist langweiliger Einheitsbrei in einer Sprache, die niemand mehr spricht.“ „Das Produkt muss strahlen, wenn es dem Kunden gefallen soll“, lautete eine weitere Wortmeldung, die eine positivere Eigenwerbung des öffentlichen Dienstes einforderte. Und immer wieder und eindringlich: Der Appell an die für den Staatsdienst verantwortliche Politik: „Nur, wenn man dort endlich aufhört, die Beschäftigten als ‚Kostenfaktor mit zwei Ohren‘ zu betrachten, werden wir eine Trendwende zu mehr Attraktivität des Staatsdienstes für Berufsanfänger schaffen“, formulierte etwa Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft.

Hans-Ulrich Benra, der stellvertretende dbb Bundesvorsitzende und Fachvorstand Beamtenpolitik, fasste in seinem Schlusswort die wesentlichen Erkenntnisse des an Fakten und Analysen reichen Hearings zusammen und griff bei seinem Dank an die Zuhörer im Plenum und die Akteure auf dem Podium zu einem eindringlichen Bild: Die Veranstaltung habe deutlich gemacht, dass ein öffentlicher Dienst ohne Fachkräfte wie ein Himmel ohne Sterne sei: undenkbar.

 

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