• 29. Europäischer Abend
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    dbb Chef Ulrich Silberbach auf dem 29. Europäischen Abend
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    Elisabeth Winkelmeier-Becker, MdB, Vorstandsmitglied der Parlamentariergruppe der Europa-Union Deutschland e.V.
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    Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik
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    Moderatorin Tanja Samrotzki, Dr. Konstantin von Notz, Prof. Dr. Anne-Dore Uthe Arne Schönbohm (v.l.n.r)
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    Prof. Dr. Anne-Dore Uthe, Hochschule Harz
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    Dr. Konstantin von Notz MdB, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen
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    Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie e.V
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    Birgit Sippel MdEP, Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
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    S.E. Dr. Mart Laanemäe, Botschafter der Republik Estland
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29. Europäischer Abend

Digitaler Wandel – Wie zukunftsfest ist Europa?

Unter diesem Motto diskutierten Experten aus Politik, Wissenschaft und Verbänden, die zum 29. Europäischen Abend am 15. Oktober 2018 ins dbb forum berlin gekommen waren, über die digitale Zukunft Europas.

Gastgeber der gemeinsamen Veranstaltung von dbb beamtenbund und tarifunion, Europa-Union Deutschland, dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement und der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland waren dbb Chef Ulrich Silberbach und die Bundestagsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker, Vorstandsmitglied der Parlamentariergruppe der Europa Union Deutschland.

Als „komplex und anspruchsvoll – schlichtweg als Megathema“ bezeichnete Elisabeth Winkelmeier-Becker die Herausforderungen, die den Staaten der Europäischen Union durch den Digitalen Wandel bevorstehen in ihrer Begrüßung. Dabei zeigte sie sich als Vorstandsmitglied der Europa-Union Parlamentariergruppe überzeugt, dass einem vom Europäischen Rat gesteuerten gemeinsamen Digitalisierungs-Kurs innerhalb der EU der Vorzug vor einer Staatgemeinschaft zu geben sei, in der das Recht des Stärkeren durchgesetzt werden soll. „Je weiter die Digitalisierung voranschreitet, desto größer wird die Verantwortung, mit der wir in den Mitgliedstaaten Regelungen umzusetzen haben“, sagte Winkelmeier-Becker. Als Sprecherin der Arbeitsgruppe Recht und Verbraucherschutz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verfolge sie beispielsweise mit größtem Interesse die Entwicklung des digitalen Urheberrechtsschutzes. „Wir müssen schauen, welches Land hier den besten Ansatz hat und dürfen uns auch nicht scheuen, einzugestehen, dass Deutschland bei der Regelung digitaler Themen in einigen Bereichen großen Nachholbedarf hat.“

„Bürgerrechte und Sicherheit im Cyberraum“, so der Titel des ersten Diskussionspanels des Abends, sind als Thema ein Dauerbrenner, an dem sich die Gemüter erhitzen. Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), hatte die Zahlen des aktuellen Berichts zur IT-Sicherheit in Deutschland im Gepäck. „Die Lage hat sich nicht entspannt, sondern weiter zugespitzt“, so Schönbohm. Allein im vergangenen Jahr seien im Netz rund 800 Millionen Schadprogramme im Umlauf gewesen, im Jahr zuvor waren es noch 600 Millionen. Jeden Tag kämen rund 400 000 Malware-Programme dazu. 16 Millionen Warnhinweise verschickte das BSI im Berichtszeitraum, um auf Gefahren aufmerksam zu machen, mehr als zwei Millionen Zugriffe auf Schadsoftware-Server allein in der Bundesverwaltung wurden durch die Behörde abgewehrt. „Wir wahren die Bürgerrechte, indem wir die IT-Sicherheit schützen“, machte Schönbohm deutlich und wunderte sich, „dass die Menschen scheinbar Facebook immer noch mehr vertrauen als dem Staat“.

Denn Deutschland sei in Sachen IT-Sicherheit gar nicht so schlecht. In Sachen Verschlüsselungen zähle man als Anbieter weltweit zu den Top 3 – „die Codemaker holen im Kampf gegen die Codebreaker auf“. Es müsse nun verstärkt Ziel sein, Standards und Zertifizierungen für die IT-Sicherheit zu entwickeln und umzusetzen, beispielsweise ein Gütesiegel für WLAN-Router, betonte der BSI-Chef. Auch hier sei Deutschland auf einem guten Weg, Benchmarks zu setzen, wie etwa bereits geschehen mit dem internationalen IT-Sicherheitsstandard C5 für Cloudanwendungen, den das BSI gemeinsam mit Frankreich entwickelt hat und nach dem bereits große Unternehmen wie Google oder Alibaba zertifizierten. Auch der digitale Personalausweis sei ein Erfolgsmodell, stellte Schönbohm fest und regte an, „Made in Germany“ auch bei IT-Sicherheitsstandards umzusetzen und zum Exportschlager zu machen.

Einen Platz „im Mittelfeld der 28 EU-Staaten“ wies Professorin Anne-Dore Uthe von der Hochschule Harz in Halberstadt Deutschland bei der Digitalisierung seiner Verwaltung zu: „Obwohl wir uns hierzulande seit dem Jahr 2000 intensiv mit dem Thema beschäftigen, sind wir immer noch weit entfernt davon, Bürgeranfragen digital bearbeiten zu können: Andere EU-Länder wie Estland, Dänemark oder Österreich sind da deutlich weiter“, erläuterte die Professorin für Verwaltungsinformatik, Verwaltungsmanagement und E-Government, die zudem Mitglied im Nationalen E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ e.V.) ist, in dem sich mehr als 100 Expertinnen und Experten für Staatsmodernisierung und eine digitale Verwaltung engagieren.

„Die hohe Skepsis gegen den elektronischen Personalausweis aber auch die nur zögerlich vorankommende Einführung der E-Akte belegen aus meiner Sicht, dass staatlicherseits bisher nicht genug unternommen wurde, die Bürger mitzunehmen und ihre Vorbehalte gegen digitalisiertes Verwaltungshandeln auszuräumen. Darüber müssen wir endlich mit der Bildung zum digitalen Bürger beginnen, die bestenfalls schon im Grundschulalter ansetzt. Die Unbedarftheit, mit der die heutige Generation die Risiken der Digitalisierung in Kauf nimmt, zeigt deutlich, dass hier dringend mehr Aufklärung betrieben werden muss.“

Die öffentliche Verwaltung selbst stehe vor der gewaltigen Herausforderung, sich vom funktionsorientierten zum prozessorientierten Handeln weiter zu entwickeln, machte die Verwaltungsexpertin deutlich. Wenn dieser Wandel vollzogen sei, könne auch der Einführung digitaler Standards effizienter erfolgen, als dies bisher der Fall sei.

Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Netzpolitische Sprecher von Bündnis90/Die Grünen Konstantin von Notz sieht bei der Digitalisierung in Deutschland viel Nachholbedarf. „In den Sonntagsreden der Politiker hört man seit Jahren, dass die Digitalisierung jetzt angegangen wird“, so der Netzpolitiker, „aber, wenn man sich die Bilanz des Bundestags dazu ansieht, stellt man eine hohe Diskrepanz zwischen Worten und Taten fest.“ Dies müsse sich nun endlich ändern – und zwar schnell. Gerade beim Thema IT-Sicherheit müssten nun Grundsatzentscheidungen getroffen werden. Nur so könnten nach Ansicht des Bundestagsabgeordneten die bereits bestehenden, unsicheren Systeme nachgerüstet werden. „Wie beim Auto, als der Staat irgendwann festgelegt hat, dass ein Airbag in jeden Neuwagen eingebaut werden muss“, erklärte von Notz, „so müssen jetzt rechtsstaatliche und sicherheitsrelevante Standards eingezogen werden zum Schutz der Privatsphäre der Bürger.“

Im Diskussionspanel „Wirtschaft und Arbeit im digitalen Binnenmarkt“ appellierte Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie, ähnlich wie zuvor BSI-Chef Schönbohm an das Selbstbewusstsein der erfolgreichen deutschen Wirtschaft. Man dürfe sich von den Erfolgen anderer, beispielsweise der Amerikaner und Chinesen, nicht einschüchtern lassen, sondern müsse an Kernkompetenzen und Alleinstellungsmerkmale anknüpfen: „Wenn wir unsere gute Ausgangssituation nutzen, und die Politik die richtigen Weichen in den Feldern Forschungsförderung, künstliche Intelligenz und Datenpolitik stellt, bin ich davon überzeugt, dass wir auch in Zukunft erfolgreich sein werden“, zeigte sich Plöger optimistisch. Innovationskraft und Technik müssten nun erfolgreich an den Markt gebracht werden. Dabei bestehe allerdings noch Nachwohlbedarf, räumte die Digitalisierungsexpertin ein, „unser Wissen fließt noch viel zu wenig in die Wertschöpfung ein.“ Plöger betonte, dass sich die Wirtschaft im digitalen Veränderungsprozess in jeder Hinsicht ihrer sozialen Verantwortung bewusst sei. So werde man stets das, was Menschen besser als Maschinen könnten, weiterverfolgen, und davon gebe es „eine ganze Menge“.

Für S.E. Mart Laanemäe, Botschafter der Republik Estland, sind die Voraussetzungen für eine funktionierende und effiziente digitale Verwaltung fest umrissen: Zuerst verfolge Estland eine „Digital-First-Haltung“, die besagt, dass alles, was digital erledigt werden kann, auch digital erledigt werden soll. Voraussetzung dafür sei eine sichere digitale Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Verwaltung, die Estland mit der digitalen Bürgerkarte realisiert hat. Sie sei Führerschein, Bibliotheksausweis, Steuernummer und Gesundheitskarte in einem und ermögliche es den Esten in fast allen Lebenslagen, mit der Verwaltung zu kommunizieren. Dazu trage auch die PC-gerechte einfache und anwenderfreundliche Nutzung des Systems bei – eine weitere Voraussetzung für funktionierende digitale Verwaltungsdienstleistungen. Als vierte Voraussetzung nannte der Botschafter die Transparenz des estnischen Datenzugangs, bei der Bürgerinnen und Bürger jede Verwendung ihrer Daten nachvollziehen könnten. Neben dem erheblichen Nutzen für die Bevölkerung sieht Laanemäe darin auch Vorteile für die Wirtschaft: „Je mehr Verwaltungsprozesse digital erledigt werden können, desto mehr Zeit und Ressourcen hat die Wirtschaft für Innovation.“ Allerdings habe Estland mit Erreichen der Unabhängigkeit von Russland im Jahr 1990/91, der „Stunde Null“, einen Startvorteil gehabt, als die staatliche Verwaltung komplett neu konzipiert werden konnte und musste. Heute sei der digitale EU-Binnenmarkt auch für Estland „das wichtigste Thema überhaupt, weil damit über die Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheiden wird. Wir haben den freien Warenverkehr nur für Offline-Produkte, auf dem Online-Markt bestehen die Binnengrenzen bisher fort“, kritisierte der Botschafter.

Eine zentrale Frage für Birgit Sippel war es, wie die Chancen der Digitalisierung praktisch genutzt werden. „Werden Algorithmen und künstliche Intelligenz dazu führen, dass einfach weniger Arbeiter benötigt werden“, stellte die SPD-Politikerin, die Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments ist, in den Raum, „oder finden wir andere Arbeit für diese Beschäftigten?“ Für Sippel führt in einer digitalen Gesellschaft kein Weg an fortlaufendem Lernen vorbei: „Wir benötigen daher eine positivere Herangehensweise an das Thema Bildung“, mahnte die Politikerin. „Beispielsweise könnte künftig in Arbeitsverträgen festgelegt werden, dass sich Beschäftigte zwei Tage in der Woche fort- und weiterbilden können.“ So würde permanentes Lernen zu einem selbstverständlichen Teil der Arbeit von morgen.

„Die Diskussionen der heutigen Veranstaltung haben wieder gezeigt, dass Digitalisierung die große Herausforderung, der wir uns stellen müssen, wenn wir den Wohlstand unserer Gesellschaft auch in Zukunft sichern wollen,“ machte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach in seinem Schlusswort deutlich. Der öffentliche Dienst spiele hierbei in vielerlei Hinsicht eine wichtige Rolle: „Insbesondere als Dienstleister für Bürgerinnen, Bürger und Wirtschaft, aber auch als Repräsentant des Staates und somit als Motor und Vorreiter.“  Selbstverständlich und vollkommen zurecht erwarteten die Menschen und Unternehmen vom öffentlichen Dienst zeitgemäße Verfügbarkeiten, kurze Wege und modernste Technik: „Gerade im europäischen Vergleich ist das aber in Deutschland alles nicht der Fall. Über mehr als drei Jahrzehnte wurde unsere öffentliche Hand kurz und klein gespart – es fehlt an Qualifizierung ebenso wie an der entsprechenden Hard- und Software“, kritisierte der dbb Chef. Diese Situation sei nur eine Belastung für die Bürgerinnen und Bürger: „Das ist auch eine Qual für die Kolleginnen und Kollegen, die doppelten Frust aushalten müssen: den eigenen wie den der Menschen, die kein Verständnis dafür haben, wenn der öffentliche Dienst mit Steinzeittechnik arbeitet“, so Silberbach. Zudem sei fraglich, „wie die europäische Behördenzusammenarbeit vorankommen soll, wenn wir sie nicht einmal national vernünftig abbilden können“, wie Europa als Investitionsstandort gedeihen könne, „wenn die größte Volkswirtschaft des europäischen Binnenmarkts in dieser entscheidenden Zukunftsfrage immer mehr an Boden verliert.“

 

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