26. Europäischer Abend: Demokratie in Gefahr?
Rechts- und linkspopulistische Kräfte in Regierungen und im Europäischen Parlament gewinnen an Stärke. Wächst ihr Einfluss könnten der europäische Integrationsprozess schon bald gestoppt und viele Bemühungen um gemeinsames politisches Handeln bereits im Ansatz blockiert werden. Welche Möglichkeiten die Europäischen Institutionen und die europäische Gemeinschaft haben, diese Entwicklungen abzuwehren, war Thema des 26. Europäischen Abends „Demokratie in Gefahr?“ dbb beamtenbund und tarifunion, Europa-Union Deutschland, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement und die Vertretung der Europäischen Kommission hatten am 26. Juni 2017 wieder ins dbb forum berlin eingeladen.
„Wenn Populisten sich in unserer Gesellschaft breit machen und die Mitte kuscht, dann ist die Demokratie in Gefahr, Wir dürfen nicht zulassen, dass Populisten die Auffassungen in der bürgerlichen Mitte polarisieren. Indem sie vorgeben, über die richtigen Ideen zur Zukunftsgestaltung zu verfügen, sammeln sie Wutbürger ein, die sich von gemäßigten Kräften nicht mehr informiert fühlen. Hier dürfen wir nicht länger passiv bleiben“, appellierte der Europaabgeordnete und Vizepräsident der Europa-Union Deutschland, Thomas Mann, zur Begrüßung der rund 400 Gäste, die am 26. Juni 2017 zum 26. Europäischen Abend ins dbb forum gekommen waren.
Mann: Themen der Populisten - selbst besetzen
„Man darf die Populisten nicht gewähren lassen, sondern muss ihre Themen besetzen und lauter auftreten“, so Thomas Mann weiter. „Die bürgerlichen Kräfte der Mitte sollten nicht breiig und fein ziseliert formulieren Um wahrgenommen zu werden, dürfe die Botschaft durchaus auch mal `simple and stupid` gestrickt sein. „Wir brauchen eine Win-Win-Situation für Europa und die Mitgliedsstaaten. Doch leider ist die Lösungskompetenz, die in europäischen Initiativen steckt, meiner Ansicht nach viel zu wenig bekannt“, so die Einschätzung des Europaparlamentariers.
Tribolet: Vorreiterrolle für Europa entwickeln
„Wir brauchen ein starkes Europa. Das ist nach Aufnahme der Brexit-Verhandlungen in der vergangenen Woche mehr als deutlich geworden. Europa muss jetzt nach vorne blicken und entscheiden, wie es weitergeht: Nicht zurückweichen, heißt die Devise!“ Jean-Claude Tribolet, der Gesandte der Französischen Botschaft, brachte in seinem Impulsvortrag viel von dem Elan ins Plenum des Europäischen Abends, mit dem sein neuer Staatspräsident Emmanuel Macron die Angelegenheiten Frankreichs und Europas derzeit anpackt. „Das Gefühl für die Bedeutung der EU-Zugehörigkeit wird überall in den Mitgliedsstaaten stärker“, argumentierte Tribolet mit Blick auf die „Pulse of Europe-Bewegung.“ „Es wird sich weiter verstärken, wenn sich Gestalt annimmt, welche Prioritäten Präsident Macron gemeinsam mit den europäischen Verbündeten setzen möchte. Das Europa, das unter Mitwirkung der neuen, konsequent europafreundlichen französischen Regierung geschaffen werden soll, sei eines, das seine Bürger schützt und stärkt, sagte der Spitzendiplomat und fasste die dringlichsten Aktivitäten in vier Punkten zusammen: „Europa muss eine Vorreiterrolle beim Klima-und Umweltschutz einnehmen, neue Impulse in der Verteidigungspolitik setzten, um handlungsfähig zu bleiben ,bei der Bekämpfung des Terrorismus enger als bisher kooperieren und seine Bürger mit gezielten Investitionen in wirtschaftliches Wachstum und für mehr Digitalisierung vor unfairen Arbeits-und Handelsbedingungen schützen.“
Podiumsdiskussion: Vielfältige Einschätzungen
Krzystof Balon, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), betonte, - nach den Verhältnissen in seinem Heimatland Polen befragt - , dass die aktuelle Regierung dort trotz aller Kritik demokratisch vom Volk gewählt und legitimiert sei. Der Umstand aber, dass eine Regierung mit großer Mehrheit und breitem Konsens durchregieren könne, berge die Gefahr, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt würden. In Osteuropa sei zudem eine gewisse EU-Müdigkeit zu erkennen. „Dass zum Beispiel in Tschechien nur rund 18 Prozent der Wähler zur Europawahl gegangen sind zeigt, dass die Menschen sich vom Europaparlament nicht richtig repräsentiert fühlen.“ Als Befürworter einer Reform des EU-Parlamentarismus gab sich Balon überzeugt, dass Europa erst als dynamische Einheit funktionieren könne, „wenn seine Völker ihr Souverän sind und demokratische Entscheidungen treffen können, die heute von den EU-Institutionen getroffen werden.“
Für Bundesinnenminister a.D. Gerhart Baum war das Erstarken des Populismus mit seinem praktischen Scheitern in einigen Parlamentswahlen „ein Weckruf für die Europäer“, der eine Gegenbewegung in Gang gebracht habe, die von den europäischen Bevölkerungen ausgegangen sei: „Sie sind näher zusammengerückt und haben sich jetzt auf den Weg gemacht, Europa wiederzubeleben.“ Die Entwicklung gehe hin zu einem europäischen Bewusstsein. Jetzt müssten auch die Volkswirtschaften Europas stärker zusammenwachsen und weniger nationalstaatlich, als vielmehr europäisch denken und handeln. Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg Europas liege auch in der Kunst, die kleinen Mitgliedsstaaten genauso zu achten und zu respektieren wie die großen. „Letztlich lassen sich internationale Probleme nicht nationalstaatlich lösen“, sagte Baum und führte als praktisches Beispiel an, dass der internationale Terrorismus zwar eine große Herausforderung für die EU sei, ebenso aber die Jugendarbeitslosigkeit. Baum kritisierte zudem die derzeitige institutionelle Verfassung der EU: „Den Bürgern ist nicht klar, wer in der EU das letzte Wort hat – der Europäische Rat, die EU-Kommission oder das Europaparlament.“
Manuel Sarrazin, Bundestagsabgeordneter und europapolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ die Grünen, kritisierte den Stellenwert, den die Wertedebatte in der Analyse der Populismusthematik einnimmt: „Das bringt uns nicht weiter. Populisten berufen sich auf genau dieselben Werte wie wir. Deswegen müssen wir besser argumentieren.“ Echte Gefahr drohe der Demokratie durch die Aushöhlung der europäischen Gemeinschaftsinstitutionen durch intergouvernementale Strukturen. Mit Blick auf den Brexit hält der Grünen-Politiker den richtigen Zeitpunkt für gekommen, die deutsch-französische Achse zu stärken. „Der Austritt Großbritanniens wird ein riesiges Loch in den Haushalt reißen. Es wäre beispielsweise jetzt von Deutschland und Frankreich politisch zusagbar, den Haushalt absolut auf gleicher Höhe zu halten.“
Ulrike Guérot, Gründerin und Direktorin des Democracy Lab in Berlin und Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität in Krems, mahnte, in der Populismuskritik nicht zu vergessen, dass populistische Botschaften auf einfache Lösungen und damit auf den gesunde Menschenverstand abzielten: „Den sollten wir besser selbst nutzen.“ Auch die von deutschen Rechtspopulisten in die Welt gebrachte Forderung, Europa müsse von Grund auf neu erfunden werden, verdiene ohne ideologische Tünche betrachtet zu werden: „Nach den Leitsätzen der Politikwissenschaft hat die EU kein Kriterium einer Demokratie. Es fehlt die Gewaltenteilung, und der Bürger ist nicht der Souverän. So lange das nicht erreicht ist, bleibe ich bei meiner Meinung, dass die EU nicht funktionsfähig ist.“
Kirsten Lühmann, stellvertretende dbb Bundesvorsitzende, Bundestagsabgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, kritisierte, dass auf europäischer Ebene angestrebte Verbesserungen im sozialen Recht häufig nicht umsetzbar sind, weil sie sich gegen die Interessen der von unterschiedlichen Wirtschaftsstandards geprägten Nationen richten. „Man kann an Projekten, die Interessenskonflikte erzeugen, nichts einfach machen, was kompliziert ist. Das ist auch im Deutschen Bundestag so, obwohl dort über 50 Prozent der Vorhaben übereinstimmend entschieden werden. Das wiederum ist wenig bekannt, weil über Konsens eher selten berichtet wird.“ Mit Blick auf die Weiterentwicklung Europas appellierte Lühmann, die Chance zu nutzen, immer wieder über Grundsätzliches zu reden und politische Initiativen nicht einfach vorschnell vom Tisch zu wischen.
Eine Einschätzung, die Manfred Weber, Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament, ebenfalls hervorhob. „Wir sollten Probleme in Europa so lösen, wie wir es bisher immer getan haben: Im Diskurs. Wir müssen mit einander reden und versuchen, uns zu verstehen. Nur im Diskurs kommen wir zu Ergebnissen.“
Nach Auffassung Webers können die Europäer stolz darauf sein, was sie auf diesem Kontinent gemeinsam schaffen. Jetzt sei wichtig, Europa Erfolge zu gönnen: „Wir müssen in Europa Verantwortung übernehmen. Wenn die Minister im Rat Gesetzesvorschlägen zustimmen, dann sollten sie uns erklären, warum und nicht die zwei Prozent im Gesetzesvorschlag suchen, die sie sich anders vorgestellt hätten.“ Zudem dürfe die Verbindung zu den Bürgern nicht vernachlässigt werden: „Wir müssen thematische Orientierungspunkte für die nächste Europawahl bieten.“
Dauderstädt: Wachsamkeit bleibt unverzichtbar
„Europa steht für die friedliche Zusammenarbeit und freiwillige Verschmelzung zu neuen Institutionen. Radikale Kräfte, die die Europäische Union und ihre Freiheitswerte in Frage stellen, haben zuletzt Rückschläge erlitten“, bilanzierte dbb Chef Klaus Dauderstädt in seinem Schlusswort. Es gebe wieder Hoffnung in Europa und für Europa, brachte er die Kernbotschaften des Europäischen Abends auf den Punkt. Gleichsam müsse man wachsam bleiben, so Dauderstädt: „Wir alle miteinander: Die Politik, die organisierte Zivilgesellschaft, auch wir als Beamtengewerkschaft. Denn völlig gebannt ist die Gefahr noch lange nicht. Wenn Europa als supranationaler Zusammenschluss von Staaten in den vergangenen Jahren immer heftiger von links und rechts außen angegriffen worden ist, dann galten diese Angriffe weniger der Europäischen Union und ihren Institutionen. Sie galten vielmehr der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die heute untrennbar mit dieser Union verbunden ist. Zerfiele die EU, begingen wir einen kollektiven Exit, würden diese Angriffe mitnichten eingestellt“, warnte Dauderstädt und forderte, dass sich die Europäische Union auch selbst mit ihren bestehenden demokratischen Defiziten auseinandersetzen müsse. „Demokratie muss auf allen Ebenen gelebt werden. In den Städten und Gemeinden, in den Regionen, auf der Ebene der Nationalstaaten und eben auch auf der Ebene der Europäischen Union. Da gibt es offene Fragen: Kann die Legitimität des Europäischen Parlaments weiter erhöht werden? Was wird aus den europäischen Spitzenkandidaten bei den nächsten Europawahlen? Wie steht es um transnationale Listenplätze? Wie transparent ist der Rat der Europäischen Union?“ Sich für ein in Frieden und Freiheit geeintes Europa einzusetzen, sei immer auch ein Dienst an der Demokratie, erklärte Dauderstädt. „Dass wir als staatstragende Beamte das genau so sehen, bei aller möglichen Kritik an der einen oder anderen konkreten Brüsseler Rechtsetzungsinitiative, versteht sich von selbst“, stellte der dbb Bundesvorsitzende klar.