Gastbeitrag von Barbara Kauffmann, Direktorin Beschäftigungs- und Sozialpolitische Steuerung, GD EMPL der Europäischen Kommission
Klimaneutralität und Digitalisierung – klare Prioritäten der europäischen Politik
Der Übergang zu einem klimaneutralen und digitalen Europa, sind zwei tiefgreifende, miteinander verbundene Veränderungen, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft maßgeblich in den nächsten Jahrzenten prägen werden beziehungsweise es schon tun. Mit dem Europäischen Grünen Deal (EGD), den die Europäische Kommission unter Präsidentin von der Leyen im Dezember 2019 lanciert hat, will die Europäische Union (EU) eine nachhaltige Wachstumsstrategie verfolgen und bis zum Jahr 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden. Das Europäische Klimagesetz sieht bis 2030 eine 55 Prozent Senkung der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 vor, und um dies zu verwirklichen, legte die Kommission im Juli und Dezember 2021 zwei ‚Fit für 55‘ Pakete mit insgesamt 23 Gesetzesinitiativen in den Bereichen Klima, Energie, Landnutzung, Verkehr und Steuern vor.
Gleichzeitig ist die Europäische Kommission entschlossen, das kommende Jahrzehnt zu Europas Digitaler Dekade zu machen und durch neue Innovationen wie künstliche Intelligenz (KI), und das Internet der Dinge (IdD) die Wettbewerbsfähigkeit der EU steigern, neue Arbeitsplätze schaffen und öffentliche Verwaltungen und Dienstleistungen modernisieren. Zusätzlich unterstützten digitale Technologien erneuerbare Energiesysteme, nachhaltige Lieferketten sowie Mobilitätslösungen und sind somit zentral für den grünen Wandel.
Diese fundamentalen Umwälzungen bieten große Chancen, wie etwa erhöhtes Wirtschaftswachstum in der EU von jährlich bis zu 0,5 Prozent, aber auch soziale Risiken. Es ist wichtig, dass beide Prozesse fair und inklusiv im Interesse der EU Bevölkerung gestaltet werden, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu wahren, und die Klimaziele bis 2050 zu erreichen sowie den digitalen Wandel erfolgreich zu bewerkstelligen.
Chancen, Kosten und Risiken des grünen und digitalen Wandels
Laut Analysen der Kommission wird erwartet, dass der grüne Wandel bis 2030 netto bis zu einer Million neuer Jobs schaffen kann, und bis 2050 etwa zwei Millionen, sofern entsprechende begleitende Maßnahmen eingeleitet werden. Zudem ist wichtig, dass neue Jobs und Berufsfelder gerade in mittleren Qualifikationsbereichen entstehen wie etwa der Baubranche, der Kreislaufwirtschaft, und der Elektromobilität und so der Arbeitsmarktpolarisierung entgegenwirken.
Allerdings birgt die Transformation zur Klimaneutralität auch gewisse arbeits- und sozialpolitische Herausforderungen. Einerseits ist mit Jobverlusten in gewissen Wirtschaftszweigen, wie der fossilen Energiegewinnung und der Automobilbranche zu rechnen. Andererseits entsteht durch die Transformation ein erhöhter Bedarf an MINKT Kompetenzen und kann zu erhöhtem Arbeits- und Fachkräftemangel in der Zukunft führen. Zudem kann eine Bepreisung von fossilen Brennstoffen, etwa durch erhöhte Steuern, regressive Verteilungseffekte haben und einkommensschwache Haushalte besonders treffen. So wird etwa das Risiko der Energiearmut (gegenwärtig sind über 35 Millionen Menschen in der EU betroffen) möglicherweise noch erhöht, wenn entsprechende Ausgleichsmaßnahmen fehlen.
Um sicherzustellen, dass niemand in diesem Übergang zurückgelassen wird, ist es notwendig negative Effekte entsprechend abzufedern und stark betroffene Regionen, Arbeitnehmer und Haushalte gezielt zu unterstützen. Beschäftigungs- und Sozialpolitik spielen in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle, beispielsweise durch Umschulungen, Finanzierungshilfen für energieeffiziente Renovierungsarbeiten, Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Energie und Verkehr, sowie Einkommenssicherung wenn nötig.
Auch die Digitalisierung bietet zahlreiche Möglichkeiten. Mit der COVID-19 Pandemie beschleunigte sich die Digitalisierung der Arbeitswelt und der Einsatz von Telearbeit ermöglichte vielen Betrieben die Aufrechterhaltung ihrer wirtschaftlichen Aktivität. Aktuell arbeiten etwa 35 Prozent der EU Bevölkerung in Telearbeit, im Vergleich zu knapp elf Prozent in 2019.
Auch die Plattformökonomie ist bereits fester Bestandteil unseres Alltags und vereinfacht das in Anspruch nehmen von Dienstleistungen. Im Jahr 2020 waren mehr als 28 Millionen Menschen in der EU über eine Plattform erwerbstätig und bis 2025 sollen es bereits 43 Millionen sein. Zusätzliches Wirtschaftswachstum und Produktivitätssteigerung wird auch durch den Einsatz von KI, Big Data und Robotik erwartet, die Routine und Fließbandarbeiten automatisiert und so prekäre oder gefährliche Arbeitsbedingungen reduziert.
Trotz der zahlreichen Vorteile digitaler Technologien, gibt es auch arbeitsrechtliche Herausforderungen. So ist etwa eine Problematik der Telearbeit, dass die Grenze zwischen Beruf und Privatleben zunehmend verschwimmt und die Erreichbarkeit der Arbeitnehmer nicht gesetzlich geregelt ist.
Auch in Bezug auf die Plattformökonomie müssen gerechte Arbeitsbedingungen, Zugang zu Sozialleistungen für Beschäftigte geschaffen werden und der Schutz in Bezug auf algorithmisches Management ausgebaut werden damit digitales Arbeiten (inklusive grenzüberschreitend) zu fairen Bedingungen stattfindet. Die zusätzlich voranschreitende Automatisierung hat ebenso zur Folge, dass niedrigqualifizierten Arbeitskräfte verdrängt werden.
Um das wirtschaftliche Potenzial der Digitalisierung auszuschöpfen ist einerseits der Ausbau digitaler Infrastrukturen wie etwa 5G notwendig, um die digitale Kluft zwischen städtischen und ländlichen Gebieten reduzieren. Andererseits, müssen digitale Kompetenzen massiv gefördert und ausgebaut werden, um einer Polarisierung des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft entgegen zu wirken, da aktuell nur 56 Prozent der EU Bürger digitale Basiskompetenzen beherrschen.
Europäische Politik für einen sozial gerechten Wandel
Die EU verfolgt eine ehrgeizige zukunftsorientierte Beschäftigungs- und Sozialpolitik, die vor allem angesichts der vielfältigen Herausforderungen des Übergangs von besonderer Bedeutung ist. Die Europäische Säule sozialer Rechte bieten mit 20 Rechten und Grundsätzen einen Leitfaden und soll durch den im März 2021 angenommenen Aktionsplan mit mehr als 60 Initiativen sowie in den Bereichen Beschäftigung, Kompetenzen und Armutsbekämpfung und sozialer Inklusion umgesetzt werden (wie etwa die Richtlinie für angemessenen Mindestlohn, die Ratsempfehlung für Garantien gegen Kinderarmut sowie Zugang zu Sozialschutz). Er beinhaltet auch EU-Zielvorgaben für das Jahr 2030 in diesen Bereichen.
Fairnessaspekte sind beispielsweise auch im Design einiger Initiativen der Fit für 55 Paketen, sowie in dem neu vorgeschlagen Klima-Sozialfonds, mitgedacht worden. Dieser Fonds, der ca. 25 Prozent der erwarteten Einnahmen aus dem zusätzlichen Emissionshandel entspricht (€72,2 Milliarden für 2025-32), soll gezielt finanziell schwächere Gruppen von bestimmten Preiseffekten abschirmen. Weitere Finanzierungsmöglichkeiten sind der Fonds für einen gerechten Übergang, der bereits zu Beginn des Green Deals beschlossen wurde um besonders benachteiligte Regionen zu unterstützen, sowie der Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+), und die Aufbau- und Resilienzfazilität (672 Milliarden wovon 37 Prozent für Klima- und 20 Prozent für Digitalinvestitionen vorgesehen sind) .
Zusätzlich legte die Kommission im Dezember 2021 eine Ratsempfehlung für einen fairen Übergang zur Klimaneutralität vor und fordert Mitgliedstaaten dazu auf, Maßnahmen für hochwertige Beschäftigung zu fördern, Zugang zu Aus- und Weiterbildung im Sinne der Europäischen Kompetenzagenda zu ermöglichen, gerechte Steuer- und soziale Sicherungssysteme zu gestalten und den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Energie und Mobilität sicherzustellen.
Bezüglich des digitalen Wandels wirkt die Kommission auch darauf hin, dass er fair vonstattengeht. So sieht etwa der Aktionsplan für die soziale Säule bis 2030 vor, dass mindestens 80 Prozent der 16-74-Jährigen über grundlegende digitale Kompetenzen verfügen sollen. Außerdem legte die Kommission einen Richtlinienvorschlag zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit (betreffend Arbeitnehmerrechte und Sozialleistungen; Schutz in Bezug auf algorithmisches Management) und einer EU-Verordnung über den vertrauenswürdigen Einsatz von KI in der Wirtschaft und am Arbeitsplatz zu fördern.
Ausblick
Frankreichs EU-Ratspräsidentschaft und der informelle EPSCO Rat am 15. Februar zum Thema gerechter Übergänge sind besonders wichtig, um wirtschafts- und sozialpolitischen Instrumente für den grünen und digitalen Wandel wie den Klima-Sozialfonds und die Ratsempfehlung zu einem fairen Übergang zur Klimaneutralität voranzutreiben. Die Möglichkeiten zukünftiger Generationen erfolgreich zu sein, hängt von unseren Handlungen im Hier und Jetzt ab und deshalb ist die Abhaltung der Konferenz zur Zukunft Europas und die aktive Beteiligung der Jugend von großer Relevanz. Die Stärkung des sozialen Fundaments unserer Gesellschaft ist essentiell. Die Unterstützung der französischen Ratspräsidentschaft ist daher für die Verhandlungen der Richtlinien für verbesserte Arbeitsbedingungen für Plattformarbeitende und angemessene Mindestlöhne, sowie anderen Initiativen, die EU-weit zu besseren und faireren Arbeitsbedingungen führen sollen von Bedeutung.