Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Tarifeinheitsgesetz wird weiter für Unfrieden sorgen
Das Tarifeinheitsgesetz wird aus Sicht des dbb weiter für Unfrieden sorgen – auch wenn es nicht gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte verstößt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 5. Juli 2022 seine Entscheidung zu Individualbeschwerden des dbb und weiterer Gewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz (TEG) veröffentlicht. Demnach liegt kein Verstoß gegen die Grundrechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit aus der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vor.
„Wir hätten uns eine klare Bestätigung unserer Rechtsauffassung gewünscht, denn das TEG ist unbestreitbar ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf die Koalitionsfreiheit einzelner Beschäftigter und in die Tarifautonomie“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach in einer ersten Reaktion auf die Entscheidung des EGMR. „Zudem sind die auch vom Bundesverfassungsgericht erkannten Schwierigkeiten der Ermittlung, wer wo die meisten Mitglieder hat, bis zum heutigen Tag noch immer nicht geklärt“, kritisierte Silberbach. „Die Gewerkschaften werden in Anbetracht der Rechtslage ihr Werben um Mitglieder massiv verstärken und ausweiten. Das TEG sorgt in der Tariflandschaft also weiter für Unfrieden, Chaos und Ungerechtigkeit und bleibt ein Fall für die Gerichte. Das ist das Gegenteil von alldem, was der Gesetzgeber mit dieser überflüssigen Normierung der bislang funktionierenden Sozialpartnerschaft erreichen wollte. Vor diesem Hintergrund wäre es verantwortungsvoll, die Fehlentscheidung zu diesem Gesetz zu revidieren und es vernünftigerweise dorthin zu befördern, wo es hingehört: In den Papierkorb.“
Silberbach hob hervor, dass die Entscheidung des EGMR nicht einstimmig war und zwei Richter in einer gesonderten Stellungnahme ausführlich erläuterten, dass mit dem TEG durchaus unverhältnismäßig in Grundrechte Arbeitnehmender eingegriffen werde und daher tatsächlich ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vorliege. „Wie die Sondervoten zweier Richter im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt die Straßburger Stellungnahme, dass unsere Rechtsauffassung auch höchstrichterlich geteilt wird“, so Silberbach.
Hintergrund:
Im Dezember 2017 hatte der dbb gegen das ursprüngliche Tarifeinheitsgesetz Beschwerde vor dem Straßburger Gerichtshof erhoben. Durch den Urteilsspruch des BVerfG am 11. Juli 2017 stand der Weg zum EGMR (Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) offen. Die Individualbeschwerde richtet sich, wie auch zuvor die erste Verfassungsbeschwerde im Jahr 2015, gegen das im Juli 2015 in Kraft getretene Tarifeinheitsgesetz vom 3. Juli 2015. Nicht nur der dbb hatte diesen Rechtsweg beschritten, auch die im dbb organisierte Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der Marburger Bund hatten Beschwerden gegen das TEG in Straßburg eingereicht.