Rezension

Nicht mehr klein beigeben

„Unbequem“ von Vera Strauch ermutigt, sich einzumischen - und setzt dabei auf rhetorische Entwaffnung statt verbale Eskalation.

Wer sich für etwas einsetzt, trifft unweigerlich auf andere Meinungen. Sei es im Beruf, auf politischer Ebene oder einfach nur bei der Planung des nächsten gemeinsamen Ausflugs. Die Konfrontation wirkt unausweichlich. Sind wir Menschen dazu verdammt, wieder und wieder unbequeme Themen mit unbequemen Menschen zu besprechen, auf unbequeme Weise mit unbequemem Resultat? Muss es immer unbequem sein?

Vera Strauch zeigt in ihrem Buch „Unbequem“ (erschienen beim Atlantik-Verlag) Strategien auf, wie es gelingt, unbequeme Situationen zu meistern und sich die Angst vor diesen Situationen zu nehmen. Sie geht dabei gründlich auf die Psychologie des Unbequemen ein und legt ein Fundament des gegenseitigen Verstehens. Sie erklärt, wie uns das Patriarchat mit der Angst vor dem Unbequemen unter Druck setzt und wie wir uns dagegen wehren können – ohne dabei für andere unbequem zu werden. Denn das Buch ist trotz seines Untertitels kein Plädoyer zur Rücksichtslosigkeit. Der Autorin geht es nicht darum, andere mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Stattdessen setzt sie auf verbale und psychologische Entwaffnung.

Dieses „trotz“ ist allerdings unser größter Kritikpunkt: Titel, Untertitel und Rückentext erwecken den Anschein, dass es hier tatsächlich um die Vorteile des Aufmuckens geht. Der rebellische Unterton zu Beginn des Buches verfestigt diesen Eindruck. Der weicht nach dem ersten Viertel des Buches etwas unverhofft dem Paradigma des gegenseitigen Verständnisses. Das wirft nach etwa der Hälfte des Buches die Frage auf, worum es eigentlich geht. Der Schluss rundet zwar alles schön ab, eine wirkliche Aufforderung zum Anecken sucht man allerdings vergebens.

Rhetorische Entwaffnung in einer Zeit des verbalen Wettrüstens

Die unerwartete Gelassenheit des Buches ist aber auch seine größte Stärke: „Unbequem“ ist eine rhetorische Wohltat in einer Zeit, in der die sozialen Medien uns überrumpelnde Angriffe und schlagfertige Konter als erstrebenswerten Umgang miteinander vorgaukeln. Strauch widmet einen großen Teil ihres Buches der gewaltfreien Kommunikation. Sie gibt Anleitungen und Tipps zur Vorbereitung auf schwierige Gespräche und wie diese Gespräche für sich und sein Gegenüber so angenehm wie möglich gestaltet werden können. Zusätzlich liefert sie Erfahrungen und Strategien gegen Stress und Angst. Manche dieser Strategien wirken gefühlt zu offensichtlich, zum Beispiel, in einer Diskussion ruhig zu bleiben, statt lauter zu werden. In diesen Fällen fühlt man sich zumindest in seiner Intuition bestätigt. Überwiegend zeigt die Autorin aber viele neue Methoden, den Diskussionsalltag besser zu machen und mehr für sich herauszuholen.

Das Buch ist primär für Frauen gedacht, die sich in einer patriarchalen (Diskussions-)Kultur durchsetzen wollen – ohne dabei das Patriarchat zu bedienen. Strauch gibt die nötigen Werkzeuge, um Konfrontationen nicht mehr zu scheuen, nicht mehr klein beizugeben und selbstbewusst in die Diskussion zu gehen. Auch Männer profitieren von der Lektüre, da sie die Hau-Drauf-Rhetorik, die ihnen oft als effektivste und einzige Kommunikationsform eingeredet wird, hinterfragt und entkräftet.

Trotz des Namens ist „Unbequem“ sehr angenehm zu lesen. Wissenschaftliche Studien und individuelle Erfahrungen der Autorin wechseln sich ab, was dem Buch einen sehr schönen Mix aus Seriosität und Nahbarkeit gibt. Für das Buch sind keine Vorkenntnisse in Soziologie und Psychologie erforderlich, um es verständlich und interessant zu finden. Die 200 Seiten lassen sich sowohl in kleinen Portionen als auch in einem Happs verschlingen, ohne dass das Buch wie ein übergroßer Brocken wirkt. Fazit: Wir können „Unbequem“ allen wärmstens ans Herz legen, die mit neuem Mut in Diskussionen gehen wollen.

 

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